Interview

Dear Reader


Am letzten Haldern-Pop-Festival-Tag spielten Dear Reader ein wunderbares Konzert im Sonnenschein. Das Konzert machte das Publikum glücklich und die Euphorie des Publikums wiederum machte die Band glücklich. So sollte es sein. Wer Gutes gibt, wird Gutes bekommen, oder so ähnlich. Gutes tun möchten Dear Reader aber nicht nur den deutschen Fans, sondern auch den afrikanischen Townships. Ob sie die Grenzen in Südafrika lockern können, bleibt ungewiss, einen Versuch ist es jedoch wert. Beim Interview erschien die komplette Band: Sängerin Cherilyn, Bandmitbegründer Darryl, Schlagzeuger Michael und Jean-Louise, die auf der Tour mit ihrer Bratsche aushilft.

Auf dem Festival-Gelände habe ich eben überall Gespräche aufgeschnappt, in denen die Leute begeistert von eurem Auftritt erzählten! Ihr selber schient ja auch sehr begeistert und auch überrascht gewesen zu sein. Habt ihr diesen Enthusiasmus des Publikums nicht erwartet?

Cherilyn: Wir wussten, dass wir ein paar Fans in Deutschland haben, aber das war wirklich eine Überraschung. Eine Show ist ja immer ein Austausch von Energien. Wir haben unsere Energie hinaus gesandt, und sie begann zu wachsen, aber dass so viel Begeisterung zurück kam, das hätten wir wirklich nicht gedacht.

Also war es einer der besten Auftritte auf eurer Tour?

Cherilyn: Oh ja, auf jeden Fall!

Darryl: Alle Festivals waren richtig, richtig gut, aber dieses hier war etwas Besonderes! Wir hatten auf der Bühne so viel Spaß! Michael zu beobachten und ihn abgehen zu sehen, ist super! (lacht)

Ja genau, Michael! Einige Leute im Publikum sagten, du würdest Cherilyn die Show stehlen, weil du alle Songs ohne Mikrophon mitgesungen und das Publikum angeheizt hast!

Cherilyn: (lacht) Ich liebe es, wenn er das macht!

Michael: Ich muss das machen… sonst würde ich sehr gelangweilt aussehen.

Cherilyn: Er muss auch bald der Front-Man einer Band werden!

Wirst du bald eine zweite Band haben?

Michael: Vielleicht.

Cherilyn: Eine Metal-Band!

Eine Metal-Band?

Michael: Nein, ich kann nicht gut schreien, du kannst schreien! (zu Cherilyn; Anm. d. Red.)

Darryl: (lacht)

Cherilyn: Oh, mir ist so heiß!

Seid ihr das heiße Wetter nicht gewohnt?

Cherilyn: Wir sollten es sein. Aber in Afrika sind wir einfach besser ausgestattet. Überall gibt es Drinks mit Eis und die Häuser sind so gebaut, dass sie kühl sind. Aber Festivals sind immer noch etwas anderes. Oh, wir freuen uns, hier zu sein! Und wir freuen uns, nachher Bon Iver anzuschauen!

Darryl: Ja! Ich hab Bon Iver noch nie live gesehen, aber ich will ihn sehr, sehr gerne sehen und bin sehr gespannt auf seine Show!

Ich freue mich auch schon! Zurück zu euch: Cherilyn, du hast die Songs selber geschrieben, oder?

Cherilyn: Ja, ich schreibe die Lieder. Und dann kommen wir alle zusammen, um sie zu spielen. Ich hab schon immer Songs geschrieben, schon als ich ein Teenager war.

Sind dann auch ein paar Songs auf dem Album, die schon etwas älter sind?

Cherilyn: Das Album, das wir davor, mit der anderen Band aufgenommen haben, war mehr wie eine "Collection Of The Years". Aber die Songs auf dem neuen Album sind sehr aktuell.

Was hat dich bei den Songs inspiriert, die du schon als Teenager geschrieben hast?

Cherilyn: (lacht als sie darüber nachdenkt und spricht die Worte dann sehr deutlich aus) Als Teenager war ich eine sehr engagierte Christin. Ich bin mit der Kirche aufgewachsen. Also wurde auch eine Menge der Musik, die ich machte, davon beeinflusst. Es hat sich mittlerweile viel verändert. Aber durch die Zeit in der Kirche bin ich der Mensch geworden, der ich heute bin.

Wie sah deine Arbeit in der Kirche aus? Hast du dem Priester geholfen oder vielleicht Orgel gespielt?

Cherilyn: Die Kirche war relativ locker drauf. Es gab immer eine Band, die gespielt hat. Ich habe die Band geleitet und den Kindern geholfen… was auch immer anfiel. Dort lernte ich eine Menge übers Musikmachen ohne "geschriebene Musik". Als ich jung war habe ich auch viel klassische Musik gemacht. Die Kirche hat mich sehr inspiriert.

Was hat dich dann von der Kirche abgebracht?

Cherilyn: (lacht leicht verzweifelt) Um genau zu sein… Es war etwas sehr Persönliches… Es hatte nicht so sehr mit der Kirche zu tun, sondern eher mit einem Kampf in meinem Kopf... und es brauchte einige Jahre, diesen Konflikt zu lösen. Zur Zeit weiß ich nicht, woran ich glauben soll, aber ich könnte sicherlich nie wieder dort hin zurück gehen.

Ok… Kommen wir zu Südafrika. Es ist toll, eine Indie-Band aus Südafrika kennen zu lernen. Das war etwas Neues für mich. Gibt es eine Art Szene bei euch?

Darryl: Die Szene ist sehr klein. Jedenfalls was Indie-Musik betrifft. Es gibt eine große Musik-Industrie in Südafrika. Aber es ist eher... ruhigere Musik, auch viel Hip-Hop, aber für die Musik, die wir machen, ist die Szene sehr klein. Es sind immer die gleichen 200 Leute, die man trifft.

Also wird es wohl so sein, dass das halbe Publikum aus Musikern selbst besteht?

Dear Reader (lachen)

Darryl: Genau so sieht es aus! Es gibt ein Musikvideo von einer dieser Indie-Bands. Jeder der in dem Video zu sehen ist, spielt auch selbst in anderen Bands. (lacht)

Aber da die Szene so klein ist, seid ihr euch bestimmt auch sehr nahe und helft euch gegenseitig aus?

Darryl: Ja, genau.

Cherilyn: Ja, schon, aber wir sind nicht so richtig ein Teil der "INDIE-Szene". Es gibt die "INDIE-guys", die für sich sind. Wir haben aber auch Freunde, die sind eher Pop-Bands, oder auch Rock-Bands. Da es so klein ist, kennt nun mal jeder jeden. Eigentlich gibt es gar nicht genügend Bands, um sie in so viele Sparten zu unterteilen. Aber ich würde nicht sagen, dass wir in der "Indie-Szene" sind. Wir sind mehr auf der Grenze zwischen Indie und Pop.

Darryl: Manchmal schaffen wir es, in die Indie-Szene zu kommen und sie akzeptieren uns, ...

Alle: (lachen)

Cherilyn: Es kommt drauf an, in welcher Stimmung sie gerade sind. (lacht)ir leben... im Nomadenland.

Fühlt ihr euch wohl dort?

Cherilyn: Ja, denn es ist für jeden der Musik mag. Es ist nicht hip, und es kommt nicht drauf an wie cool und verrückt du sein kannst, es ist eigentlich Pop-Musik, aber es ist alternativ. Es ist einfach für jeden!

In meiner Jugend war es mir sehr wichtig, auf viele Konzerte zu gehen, und auch in Clubs. Wie war das bei euch? Welche Möglichkeiten hattet ihr? Welche Musik haben sie in den Clubs gespielt und welche Musik umgab euch?

Darryl: Wow, das ist… hmm… es gibt eigentlich nicht viel Live-Musik in Südafrika…

Cherilyn: (unterbricht ihn) Doch! Es gibt eine ziemlich große Punk- und Rock- und Metall-Szene. Er ist ein Punk-Kid! (zeigt auf Michael und lacht)

Ok, dann erzähl mir davon!

Michael: Ok, ja, die Alternative-Szene ist recht groß. Aber wie eben schon Mal erwähnt, es kommen immer die gleichen 400 Leute zu jeder Show und jeder spielt in irgendwelchen Bands. Aber ich glaube die Szene schrumpft nun, denn immer mehr Leute kommen in die ganze Indie-Elektro-Sache rein. In den meisten Clubs gibt es jedoch Mainstream-Sachen zu hören, die alle zufrieden stimmen sollen. Aber dann gibt es auch eine Menge Alternative-Clubs.

Cherilyn (fällt ihm ins Wort): Es gibt doch diesen "Nickelback-Club"! In dem sich alles so nach "brrooooaarrr!" anhört. Wie singen die nochmal?

Michael: Sie fügen einfach überall "RRRR"´s ein. (Michael und Cherilyn "singen" etwas im "Nickelback-Stil" vor.)

Darryl: Das erste Mal, als Cherilyn und ich eine Band gesehen haben, deren Konzert wir richtig genossen haben, war in Amerika! Es war beim South By Southwest. Es war auch das erste Mal, dass wir Bands experimentieren gesehen haben. Es war sehr aufregend! Wir haben dort Mew gesehen, meine Lieblingsband, dann The Dears, Bloc Party...

Cherilyn (wirft ein): Fionn Regan!

Darryl: Ja, Fionn Regan! Dann Midlake...

Cherilyn: Es ist schade. Immer wenn wir auf Festivals sind, würden wir so gerne so viele andere Bands sehen, aber wir müssen selber spielen und haben viel Arbeit... schade...

Aber ihr seid doch bestimmt gerne auf Tour, oder? Wie ist es, freut ihr euch dann aus eurem Land mal raus zu kommen? Oder habt ihr auch Heimweh?

Michael: Ja, ich vermisse es sehr! Die Menschen bei uns sind so liebenswert und nett und das Land ist so schön. In verschiedenen europäischen Städten mag es mehr zu sehen geben... verschiedene Kulturen und viel Neues. Bei uns gibt es auch verschiedene Kulturen... aber irgendwie sind wir alle sehr verbunden.

In euren Songs singt ihr ja auch über die kulturellen Unterschiede in Südafrika. Wenn ihr von diesen "Musik-Szenen" sprecht, sind dort auch die schwarzen Menschen involviert?

Cherilyn: Ja, das sind sie. Es gibt auch viele Schwarze, die zur Uni gehen und die in der Musikszene dabei sind. Es gibt viele aufstrebende schwarze Familien. Naja... und wir haben zum Beispiel mehr gemeinsam mit einer farbigen Person, die zur Uni gegangen ist, ... wir haben gemeinsame Interessen... aber... die Wahrheit ist, dass die meisten schwarzen Leute sehr arm sind. Sie sind im Township aufgewachsen, sie sprechen eine andere Sprache und wir haben eine ganz andere Lebenserfahrung. Die Unterschiede sind riesig. Wenn wir von einer "community" sprechen, sprechen wir meist über die weiße Mittelschicht, und nicht über "Südafrika". Denn Südafrika ist eines der am meisten getrennten Länder, was die Kulturen angeht. Aber es gibt einige Plätze, an denen sich die Kulturen anfangen zu verbinden. Heute spielt hier auf dem Festival eine Band aus Johannisburg! Die Black Jacks. Sie spielen auch manchmal auf Indie-Partys. Sie spielen aber auch mit Metal-Bands. Und sie würden auch im Township auftreten. Wir würden auch gerne in einem Township auftreten. Das ist mein neuester Wunsch. Ich würde es gerne ausprobieren. Sie könnten uns hassen... naja... vielleicht nicht hassen, aber es ist nicht ihre Musik. Aber wir wollen versuchen, diese Grenzen zu überschreiten.

Das klingt schön. Irgendwie erinnert es mich aber auch an Bands, die ins Gefängnis gehen, um dort den Gefangenen eine Freude zu machen.

Cherilyn: Ja, wie Johnny Cash! Aber naja. Sie brauchen uns eigentlich nicht. Ihre Musik-Industrie ist groß. Wenn du ruhigere Musik machst, kannst du richtig erfolgreich werden. Am Ende würden wir im Township… die "nobodys" sein… sie würden vielleicht sagen: Wer seid ihr? Wir mögen eure weiße Musik nicht. Wo ist der Rhythmus? Wer weiß...

Weil unsere Zeit zu Ende ist, nur noch eine letzte Frage: Was war eure erste Platte, die ihr euch selber gekauft habt?

Cherilyn: Oh nein, das wird ziemlich übel sein, dir das zu erzählen! Denn ich bin sicher, es war "NOW!". Es war eine Compilation, die jedes Jahr veröffentlicht wird... was war drauf?! Oasis, The Cranbarries, und so etwas…

Jean-Louise: Meine erste CD war der "Alladin"-Disney-Soundtrack! (Cherilyn freut sich und singt einen Alladin-Song, auch Darryl und Michael freuen sich)

Cherilyn: Disney! Disney ist fantastisch! Ihr müsst euch das Orchester-Arrangement anhören!

Jean-Louise:Das werde ich! (Cherilyn lacht) Wenn ich zurück komme, höre ich mir meine Disney-CD´s wieder an, und es wird super sein!

Michael: Die erste CD, die ich von meinem ersten Geld gekauft habe, war eine Cypress-Hill-CD! ( Alle anderen: "Uh, yeahh! Super!") Denn ich stand total auf Hip-Hop und Rap. Und ich habe sie immer noch, auch wenn sie sehr zerkratzt ist!

Wirst du sie dir auch anhören, wenn du nach Hause kommst?

Michael: Nein, ich denke nicht. Ah, außerdem habe ich ein Mal meinen heißen Kaffee auf die CD gestellt... also habe ich den Tassenrand in die Disc gebrannt... ich kann sie also gar nicht mehr anhören.

Ok, wir kommen zum Schluss. Was war dein erstes Album?

Darryl: Meins war von einer südafrikanischen Band. Ich glaube nicht, dass irgendjemand von euch es kennt. Sie hießen No Friends Of Harry. Es war irgendwann in den 90ern.

Ok, vielen Dank, dass ihr alle zum Interview gekommen seid! Habt noch einen schönen Tag und genießt das Festival!

Dear Reader: Das werden wir! Dankeschön!

Marlena Julia Dorniak

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