Interview

The Head And The Heart


Werd endlich erwachsen! Dieser Spruch mag auf einige Frühzwanziger zutreffen, nicht jedoch auf einen der schnuffigsten Folk-Newcomer des Jahres – The Head And The Heart. Die sind nach einem Debütalbum voller Scheidewege nämlich endlich angekommen – und haben höchstens äußerst menschliche Macken aus der Kindheit mitgenommen. Vor dem Docks-Konzert als Support von Death Cab For Cutie treffen wir Drummer Tyler Williams zum Interview.

Hallo Tyler! Ich würde mit dir gerne über euer Debütalbum sprechen. Viele sehen es als eine Art "Coming of Age"-Album an. Würdest du dem zustimmen?

Tyler Williams: Ja, "Coming of Age" stimmt insofern, als man ein Debüt ja nicht herausbringen will, bis man wirklich das Gefühl hat, dass man es nicht besser hinbekommt. Ursprünglich war es eigentlich eine Demo für Freunde, die wir herumgeben wollten, um zu sehen, was passiert, und die erst später in einem Studio neu aufgenommen wurde. Wir hätten schon einiges anders machen können, aber sind doch zufrieden damit.

Eigentlich habe ich mit "Coming of Age" die Thematik gemeint, die das Album durchzieht.

Tyler: Ach, tut mir Leid – auf diesen Aspekt trifft der Begriff sicherlich ebenso zu. Ja, das Album handelt definitiv davon, nach zwölf Jahren Schule oder ähnlichem seinen Platz im Leben zu finden, ohne Sicherheitsnetz.

Ihr seid ja nun alle in den Nordwesten gezogen – denkst du, diese Selbstfindungsphase ist damit um oder wird euch das Fernweh wieder packen?

Tyler: Alleine dadurch, dass wir soviel touren, ist beinahe ein sich ständig wiederholender Zyklus entstanden, das ist irgendwie ironisch. Wir vermissen immer noch unsere Familien und haben immer noch ähnliche Probleme wie damals, als wir das Album schrieben. Jetzt wissen wir aber, dass wir das alles für etwas tun, das wir lieben. Als wir die Band gründeten, sind wir alle entweder gerade umgezogen oder aus einem anderen Land wiedergekommen, wie Charity (Geigerin und Sängerin der Band, Anm. des Autors). Diese Phase war sehr von Übergängen geprägt, weswegen die Platte wohl auch so sehr nach "Coming of Age" klingt – nun können wir mit diesen Umständen besser umgehen.

In "Lost In My Mind" kommt die Zeile "We can't stop moving forward" vor. Wünscht du dir manchmal, das wäre nicht der Fall?

Tyler: Klar. Seit Januar sind wir quasi ohne Pause auf Tour und nun ist es Juli, das ist Wahnsinn. Das haben wir uns aber ja selber ausgesucht und gerade nun müssen wir dranbleiben.

Ein weiteres Thema des Albums, das auch mit dem Erwachsenwerden zu tun hat, sind Fehler, die man macht, die man nicht wiederholen möchte und für die man sich Vergebung erhofft. Wie wichtig ist Vergebung?

Tyler: Unglaublich wichtig. Wenn man Leuten nicht vergibt, ist man einfach nur ein böser, wütender Mensch. Aus diesem Grund ist die Platte ja auch überhaupt nicht wütend – auch wenn jeder, der in einer Band spielt, immer etwas egoistisch sein muss.

Vergeben ist wichtig – aber muss man sich auch immer darauf konzentrieren, Vergebung zu erlangen?

Tyler: Darüber denke ich nicht so sehr nach. Man muss tun, was man tun muss und kann in der Tat nicht immer darauf hoffen, dass andere einem alle Fehler verzeihen. Man sollte eher darauf hoffen, dass Freunde einen unterstützen – und wenn sie es nicht tun, muss man sich fragen, wie wichtig einem diese Menschen sind.

Gab es Situationen in jüngerer Vergangenheit, wo ihr Fehler, die ihr früher gemacht hattet, nicht wiederholt habt?

Tyler: Ich werde smarter, ja (lacht). Die Band ist ein gutes Beispiel, sie hat definitiv Lernprozesse durchgemacht, wie man mit Leuten umgeht – anfangs war man vielleicht etwas gereizt, weil man so viel auf Tour war und seine Familie nicht sehen konnte, aber das darf man nicht an anderen auslassen. Darin werde ich besser.

Quasi das Gegenteil der letzten Frage: In "Ghosts" heißt es People say "I knew you when you were six years old", but I've changed. Wo seid ihr denn Kind geblieben?

Tyler: (lacht) Ich glaube, Charity schleppt immer noch eine Decke aus ihrer Kindheit mit sich herum.

Charity: (ruft rüber) Und John seine Plüschtiere!

Tyler: Stimmt! Das fällt mir so spontan ein. Solche Dinge dienen manchen eben als Erinnerung an ihr Zuhause, was auch eine tröstende Funktion ausübt. Ich esse einfach viel.

(Charity lacht laut los)

Tyler: Das ist nicht kindisch, aber das tröstet mich persönlich.

Kindisch wäre es, wenn du viele Süßigkeiten essen würdest.

Tyler: Ja. Habe ich heute auch gemacht. Schreib das ruhig auf!

Ein anderes Thema: In eurer Band werden Aufrichtigkeit und Authentizität groß geschrieben, denke ich zumindest.

Tyler: Ja, danke, dass du das so empfindest.

Viele Leute fühlen sich heute zu solch "aufrichtiger" Folkmusik hingezogen – was aber die Gegenreaktion zu haben scheint, dass manche diese Aufrichtigkeit als gekünstelt und kalkuliert ansehen.

Tyler: Ich weiß genau, was du meinst, das ist lustig. In den schlechten Rezensionen, die wir bekommen haben, lassen es die Autoren gerne so aussehen, als ob wir geradezu in einer dunklen Räuberhöhle säßen und nur versuchten, auch noch die letzte Träne aus unseren Hörern herauszupressen. Unsere Musik ist aber tatsächlich nur die, die wir gerne spielen und dank der wir uns gut fühlen. Zumindest bei manchen scheint es ähnliche Gefühle hervorzurufen. Natürlich gefällt diese Musik nicht jedem, das wollen wir auch gar nicht, das können wir auch gar nicht. Manche Töne fühlen sich eben zu einer bestimmten Zeit gut an, dahinter steckt keine Berechnung – es wäre auch traurig, es anders zu machen.

Wie man es macht, macht man es falsch.

Tyler: Ganz genau. Es ist aber andererseits ja auch so: Jede Musik erfordert es, dass die einzelnen Bandmitglieder sich einigen, was wie gespielt wird – es sei denn, man ist in einer Jamband und spielt 20 Minuten lange Soli. Jede Form von Popmusik benötigt aber in der Tat Strukturen, über die man sich Gedanken macht. Solche Kritik mussten sich Bands unseres Genres – ob dieses Genre nun Folk, Poprock oder was auch immer ist – aber schon immer anhören.

Ich habe vorgestern mit Frank Turner, einem englischen Folkpunkmusiker gesprochen, der meinte, dass die öffentliche Meinung bezüglich Folk alle zehn Jahre umschlägt. Ist das in den USA auch so?

Tyler: Dank Mumford & Sons ist Folk in den USA aktuell schon sehr beliebt, aber ich habe das Gefühl, dass das Genre bald wieder mehr Antipathien auf sich ziehen wird. Pitchfork wird immer zu den ersten gehören, die mit dem Bashing beginnen, andere springen dann auf diesen Zug auf. Wir hatten aber sowieso nie den Plan, auf ewig auf dieses Genre "Folk" festgenagelt zu werden, wir wollen weiterhin erkunden, welche Musik wir gerne spielen möchten. Daher machen wir uns da keine Sorgen.

Eine letzte Frage: Da ich schon einige Zeilen des Albums zitiert habe: Wenn ihr euch ein Zitat eurer Musik aussuchen könntet, das sich Leute zu Herzen nehmen sollen – welches würde es sein?

Tyler: Oh, darüber habe ich mir noch nie Gedanken gemacht. Wir haben einen neuen Song, der ursprünglich "Sleep Beside Me" hieß, den Josuah (einer der Sänger der Band, Anm. des Autors) nun "Josh McBride" nennt. Die Lyrics sind sehr deskriptiv und narrativ. Da gibt es eine Stelle: In the city we don't know yet, across the bridges not yet burned, will the ice not let us further? Diese Stelle mag für andere nicht relevant sein, aber für mich sagen diese Worte aus, dass einem alle Möglichkeiten offen stehen, man dafür aber manchmal erst eine Eisdecke durchbrechen muss, wo auch immer man ist.

Das ist doch eine schöne Botschaft. Danke für das Interview!

Jan Martens

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Rezension zu "Signs Of Light" (2016)
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