Interview

Frightened Rabbit


Der Bandname wird augenscheinlich unpassender: Nannte sich Scott Hutchison aufgrund seiner Schüchternheit bei seinen ersten Soloauftritten noch Frightened Rabbit, wirkt Scott, mittlerweile zum Kopf einer fünfköpfigen Band mutiert, im Gespräch mit uns durchaus gut gelaunt und redefreudig. Ein Gespräch über Krankheiten, unerwartete Einflüsse auf die schottische Indieszene und das Alkoholikum des Jahres.

Hallo Scott! „The Winter Of Mixed Drinks“ ist ja nun schon eine Weile draußen und ich habe immer wieder gelesen, für wie optimistisch das Album allerorten gehalten wird. Glaubst du, dieser Eindruck wäre auch ohne „The Midnight Organ Fight“ als Vorgänger entstanden?

Scott Hutchison: Ja, ich kann nachvollziehen, was du meinst. Im Vergleich ist das Album sicherlich positiver als sein Vorgänger, aber es hat ebenso seine dunklen Momente. Ich verwende selbst, um glückliche Gefühle zu beschreiben, immer noch dunkle Worte – Leute konzentrieren sich nur etwas zu sehr auf die Fröhlichkeit.

Ich muss an eine Zeile denken: If you never feel bleak, life starts to lose its taste.

Scott: Ja, so ging es mir schon immer, dass mir auch Depressionen gefallen. Auch diese Seite des Lebens muss man kennenlernen, das eine geht nicht ohne das andere.

Du meintest einmal: „Schottischer Pessimismus – wir erwarten das Schlimmste, dann werden wir nicht enttäuscht.“

Scott: (lacht) Ja, genau! Auf diese Weile kann man mit Überraschungen auch viel besser umgehen.

Und das ist eine typisch schottische Einstellung?

Scott: Vielleicht nicht! Ist das auch typisch deutsch? Ist Deutschland ein optimistisches Land? Wir sind vielleicht einfach realistisch. Ich glaube, das liegt daran, dass Schottland seit Jahrhunderten immer der Underdog gewesen ist, wir haben viele Kriege verloren, ähnlich sieht es im Sport aus, wir sind in vielen Dingen nicht besonders gut. Daher erwarten wir immer, zu verlieren.

Ich glaube, seit dem zweiten Weltkrieg dürfen Deutsche nicht mehr zu optimistisch sein, sonst werden andere Länder misstrauisch.

Scott: (lacht) Das ergibt Sinn, ja.

Was mir aufgefallen ist und was ich auch schon mit We Were Promised Jetpacks besprochen habe, ist, dass gerade schottische Bands immer wieder gefragt werden, wie ihre Herkunft die Musik beeinflusst habe.

Scott: Das kann daran liegen, dass Schottland für so ein kleines Land eine sehr ausgeprägte Identität hat, besonders, was die Musik angeht. Daher halte ich die Frage auch für gerechtfertigt. Wir haben eine sehr reiche Musikgeschichte, die immer präsent ist, und es ist schwierig aufzuwachsen, ohne von Bands wie Mogwai oder Belle & Sebastian beeinflusst zu sein.

Auch scheinen schottische Bands die einzigen zu sein, die sich für ihren Akzent nicht schämen und nicht probieren, in feinem Queen's English zu singen – auch wenn dein Akzent ja noch human ist, zum Beispiel verglichen mit Aereogramme.

Scott: Ja, der Rest der Band hat aber auch einen stärkeren Akzent als ich und die Jungs von Aereogramme sind aus Westschottland – da ist das normal. Dieser Trend, den du ansprichst, ist aber auch eine neuere Entwicklung. Vor einiger Zeit war das aber auch anders. Sagen dir „The Proclaimers“ etwas? Deren Einfluss ist nicht zu unterschätzen, sie sind eine recht bekannte Band in Schottland und haben einen sehr starken Akzent. Sie sind keine Witzband, aber sind auf ihre Art und Weise doch recht lustig. Sie haben den Trend, im schottischen Akzent zu singen, mehr oder weniger gestartet und das hat die Einstellung vieler Schotten zu diesem Thema vielleicht doch etwas entspannt. Das wurde dann auch von der Indie-Community aufgenommen. Sie sind natürlich in keinster Weise, aber sie wurden quasi vom Indie vereinnahmt.

Du hast das Album ja in der Küstenstadt Crail geschrieben. Sind deshalb Songs wie „Swim Until You Can't See Land“ entstanden?

Scott: Ja, auf jeden Fall! An vielen Stellen des Albums gibt es Referenzen zum Meer und zur Küste. Mein Schreiben wurde auch so sehr von Crail beeinflusst, weil ich davor noch nie am Meer gelebt hatte. Dass der Einfluss so stark war, habe ich aber erst beim Mischen gemerkt, wo mir dann die Durchgängigkeit der Thematik aufgefallen ist. Ich würde gerne wieder dort wohnen.

Das Motiv des ziellosen Schwimmens und auch das, alle seine Sachen wegzuwerfen, das man in „Things“ findet, sind ja auf ihre Art Variationen des Themas „Befreiung“.

Scott: Das sind sie! Ich denke, Befreiungen vom Thema des letzten Albums und diesem Teil meines Lebens. Als die Tour zu „The Midnight Organ Fight“ um war, fühlte ich mich, als wäre auch ein bestimmter Teil meines Lebens damit abgeschlossen. Besonders im Hinblick auf die neuen Songs war ich froh, dass das vorbei war. Ich war glücklich! Es war schwer, das zu verstecken. Ich wollte nicht aus Prinzip wieder so ein dunkles Album schreiben.

Oft sind Fans, die „traurige“ Bands mögen, ja sauer, wenn es „ihrer“ Band auf einmal gut geht und sie fröhlichere Lieder schreibt...

Scott: Ja, ich weiß, was du meinst, aber die Leute schienen sich trotzdem mit dem Album angefreundet zu haben.

Ein Motiv, das immer noch häufig vorkommt, ist Krankheit. Auf dem Vorgänger gab es „The Modern Leper“, nun heißt es: You were not the cure for cancer („Nothing Like You“).

Scott: Für mich sind Emotionen auch immer physisch. Jede Art von Gefühl verbinde ich auch mit etwas Fassbarem. Krankheiten unterscheiden sich aber auch hinsichtlich des Aspekts, wie sehr sie verheilen können – auch Herzschmerz ist eine Krankheit, die nicht einfach so verschwindet, sie muss ebenso behandelt werden, man muss damit klarkommen und damit leben. Lepra ist ja auch noch irgendwie heilbar, aber bei Krebs ist es schwierig, man kann einen Tumor für eine Weile loswerden, und dann taucht er wieder auf. So sieht es auch aus, wenn man Beziehungen eingeht, auch da muss man immer mit Herzschmerz rechnen.

Hmm. Eine krasse Art, das zu sehen.

Scott: Ja, aber eben meine Art (lacht). Genau so hat es sich aber für mich teilweise angefühlt: Ich konnte nachts nicht schlafen, war dann den ganzen Tag müde, war dann krank, habe zu viel getrunken...

Ein Aspekt, in dem ich auch eine Entwicklung von „Midnight Organ Fight“ zu „Winter Of Mixed Drinks“ sehe, ist das Albumcover. War das des Vorgängers noch eine Ansammlung wirrer, an Dali erinnernder Formen, wirkt das Neue sehr geordnet.

Scott: Ja, das stimmt. Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Ich denke mal, dass das auch meinen State Of Mind widergespiegelt hat. Das neue Album ist auch sehr viel kohärenter, mein Verstand war beim Schreiben auch sehr viel klarer. „Midnight Organ Fight“ war mehr eine Ansammlung von Ideen.

Du gestaltest die Albencover ja auch selber. Kreierst du sie schon im Hinblick auf das Album oder suchst du dir im Nachhinein irgendeins aus?

Scott: Weißt du, wenn ich zeichne, zeichne ich meistens sehr viel einfach übereinander. Diesmal war ich an einer sehr viel graphischeren Darstellung interessiert. Ich glaube, genau wie die Musik hängen auch meine Zeichnungen von meiner aktuellen Laune ab, daher reflektieren die Albencover auch, was ich zur Zeit der Albumaufnahmen so gezeichnet habe. So ist es sogar bei den Gestaltungen der T-Shirts.

Eine letzte Frage: Den letzten Winter habt ihr mit dem Album ja als „Winter Of Mixed Drinks“ betitelt. Wenn du auf 2010 zurückblickst – im Rahmen welches Getränks wird dieser Winter stehen?

Scott: Öh, vielleicht auch wieder Mixdrinks, aber aus einem anderen Grund. Diesmal um zu feiern, dass das Jahr so gut gelaufen ist. Es gibt aber darüber hinaus noch ein Getränk, das bei euch Glühwein und bei uns „malt wine“ heißt. Davon werden wir uns wohl auch einige genehmigen. Glühwein zu trinken hat so eine gemütliche Note, und Entspannung haben wir uns wirklich verdient.

„The Winter Of Malt Wine“ klingt ja auch schön.

Scott: (lacht) Ja, genau. Das wäre doch auch eine schöne Überschrift!

Ja, jetzt muss unsere Website nur noch Artikelüberschriften einführen! Dennoch: Danke für das Interview!

Jan Martens

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