Interview

dEUS


Auch Tom Barman weiß: Der Release eines neuen dEUS-Albums ist immer ein Schmankerl, auf das sich die Indiewelt schon lange vorher freut. Bis zur Veröffentlichung von "Keep You Close" sind es zwar noch einige Wochen – es erscheint am 16. September –, bei einem freundschaftlichen Gespräch auf dem Immergut Festival hat uns der Frontmann der Belgier jedoch schon einiges über das neue Werk verraten.

Hallo Tom! Ein neues dEUS-Album steht uns bevor.

Tom: Ja, genau, es ist aber noch nicht einmal ganz fertig. Wir mastern es noch, werden heute aber ein paar Lieder daraus spielen.

Erzähl mir doch einmal, was man über "Keep You Close" wissen sollte.

Tom: Es wird wahrscheinlich sehr viel Spaß machen, die Songs live zu spielen, da das Album sehr leidenschaftlich ist. Da wird es vielleicht schwierig sein, die Songs mit unseren eher verrückten Stücken zu kombinieren. Die Musik und Texte sind sehr "aufgeladen", während es auch eher coole, funky Stücke gibt. Diese Seiten haben wir aber ja schon immer miteinander verbunden, insofern gibt es vielleicht gar nicht so viel Besonderes zu sagen – aber ich liebe das Album und hoffe, dass es anderen genauso gehen wird. Es ist intensiv.

Du meintest schon vor einiger Zeit: Während der Vorgänger "Vantage Point" einem Vodka Redbull entsprechen würde...

Tom: (lacht) ...wäre "Keep You Close" ein Mojito, genau. Diese Aussage ist wirklich schon weit herumgereist. Weißt du, "Vantage Point" hatte irgendwie etwas Machohaftes, auch irgendwie etwas Zynisches. Auf "Keep You Close" ist keinerlei Zynismus zu finden. Das meine ich nicht unbedingt buchstäblich, aber auf "Vantage Point" wurde vermehrt eine bestimmte Phase meines Lebens beschrieben, der ich sehr gerne nachgegeben habe – nun geht es eher um die Konsequenzen daraus. Der Vodka Redbull stand für mich für Geschwindigkeit, der Mojito eher für etwas Entspanntes, Südliches... "Keep You Close" hat für mich eine gewisse Wärme. Einfach eine Analogie, die mir eingefallen ist.

Du meintest ebenso, dass die neuen Songs sehr tanzbar wären.

Tom: Ach, ich weiß nicht, die Rhythmus-Fraktion sitzt dahinten. Viele Songs basieren auf ihren Grooves. Eigentlich konnte man schon immer zu unserer Musik tanzen, aber diesmal haben wir uns ganz besonders auf die mit einem starken Groove konzentriert und weniger auf die mit besonders starken Rock-Riffs oder Melodien. Die Basslines sind sehr fett und schmierig.

Ich musste dabei an "The Architect" vom Vorgänger denken, das durch seinen Groove vielleicht viele "Old School"-dEUS-Hörer etwas verschreckt hat, die mehr kopflastige Rockmusik von euch gewohnt waren.

Tom: "Architect" war für mich auch schon kopflastig, diese Platte aber nicht. Das Gehirn spielt natürlich immer eine wichtige Rolle, wenn man ein Album aufnimmt, aber nicht die primäre. Wichtiger ist, dass man die Musik fühlt. (Toms Telefon klingelt und summt unentwegt) Entschuldigung, wo waren wir? Es ging um Kopflastigkeit und Rock...

Ja, du hast mir gerade etwas die Worte im Mund verdreht. Ich hatte "Architect" eher als Gegenpol zu euren sehr durchdachten, teilweise siebenminütigen Rocksongs verstanden, da "Architect" sehr deutlich nach vorne geht.

Tom: Ja, wenn du das kopflastig nennen willst – wir spielen nun einmal gerne live und da machen kurze Songs nicht so viel Spaß...

Ist es dann irgendwann auch schwerer, kürzere Songs zu schreiben?

Tom: Vielleicht! Ich habe ein Interview mit Thurston Moore von Sonic Youth gelesen, in dem zwar auch sehr viel Promo-Blabla über sein neues Album steht, aber trotzdem sagt er wieder sehr interessante Sachen: So hat er ja ein Akustikalbum geschrieben, was vielen Leuten sehr abgespeckt vorgekommen sein muss – aber seiner Meinung nach war das sehr radikal für ihn! Es kommt also immer auf den Kontext an. Manche Leuten haben das, was ich nun sage, zwar auch schon für Promo-Blabla gehalten, aber diese Songs mit Riesenoutros und so haben wir zum Beispiel für "Ideal Crash" zur Genüge geschrieben, und da sind dreieinhalbminütige Rocksongs durchaus radikal für uns! Du wirst heute zum Beispiel "Constant Now" hören, die erste Single des Albums – dauert auch nur 3:50 Minuten, auch sehr tanzbar, aber viel emotionaler und nicht so pompös wie "Architect". Ich kann einfach keine Zeit mehr auf seelenlose, herzlose Experimente verschwenden – nicht, dass das so viele gewesen wären, aber man muss eben etwas fühlen, wenn man Musik macht. Das war wohl das Hauptziel für das neue Album.

Gab es denn einmal solch eine "seelenlose" Phase?

Tom: Naja, zumindest zu Beginn der Bandkarriere, in Zeiten von "In A Bar Under The Sea", waren manche zweieinhalbminütige Lieder einfach ziemliche Spielerei – das passte zu dieser Zeit, aber daraus wächst man heraus. Einen Teil dieser Scheißegal-Attitüde verliert man zwar, dafür gewinnt man aber hoffentlich an Tiefe. Aber dafür haben wir ja immer noch jede Art von Publikum, wie gestern in Hamburg – Zwanzigjährige und Fünfzigjährige. Das ist auch cool.

Dabei hättet ihr gerade nun einen Punkt erreicht, wo euch bei eurer Musik alles scheißegal sein könnte.

Tom: Ja, klar. Abgesehen vom neuen Album haben wir letztes Jahr auch sehr viel andere Musik eingespielt – vielleicht wollen wir, weil wir eben so eine tolle Rhythmus-Sektion haben, auch eine Platte voller Grooves herausbringen, wo wir auf Refrains und das ganze Zeugs verzichten. Wir haben uns gestern ein paar Demos angehört, das hatte schon etwas von Can oder LCD Soundsystem. Alles, was man macht, ist immer eine Reaktion auf das, was man davor gemacht hat – nach den ganzen Songs, an denen wir so lange gearbeitet haben, täte es wirklich gut, einmal einen auf Grinderman zu machen und Lieder in zwei Takes einzuspielen. Unser Bauchgefühl sagt uns immer, was wir als nächstes tun sollen. Die Rezeption von "Vantage Point" war ja auch eher so-lala.

Findest du?

Tom: Naja, schlechte Platten haben wir nie gemacht, aber die anderen kamen noch besser an (lacht). Wir sind ja auch nicht besonders produktiv, wir bringen nur alle drei Jahre ein Album heraus – was natürlich auch bedeutet, dass ein neues Album von uns immer eine Art Event ist. Das nutze ich manchmal zwar aus, aber manchmal wünschte ich mir auch, die Produktivität eines Nick Cave zu haben, bei dem es mit neuen Bands und Alben einfach immer Zack-Zack geht. Er meinte einmal, er würde so viel Musik schreiben und veröffentlichen, weil er so leichter mit Versagen umgehen könnte – sobald ein Album rauskommt, arbeitet man sowieso schon am nächsten. Recht clever. Viel von dem, was wir schreiben, schafft es bei uns nie auf ein Album – du meintest ja, dass du uns bei unserem letzten Pukkelpopauftritt gesehen hättest: Von den neuen Songs, die da gespielt wurden, hat beispielsweise nur einer überlebt.

Ihr spielt ja dieses Jahr wieder als einer der Headliner auf dem Pukkelpop. Wie ist es, wenn man nach solchen riesigen Gigs in anderen Ländern wieder vor einem so überschaubaren Publikum spielt?

Tom: Ach, mir ist das egal – der Manager von Oasis sagte einmal, dass es ihm egal wäre, ob seine Band in einem Stadion oder einer Telefonzelle spielte, solange draußen eine Schlange wäre. So ähnlich geht es mir auch; Hauptsache der Club ist voll. Die Qualität des Publikums ist am wichtigsten.

Danke für das Interview!

Jan Martens

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Rezension zu "Following Sea" (2012)
Rezension zu "Keep You Close" (2011)
Rezension zu "Vantage Point" (2008)
Rezension zu "Pocket Revolution" (2005)
Konzertbericht (2006)

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