Rezension

The Gaslight Anthem

The 59 Sound


Highlights: The '59 Sound // Miles Davis & The Cool // Even Cowgirls Get The Blues // Here's Looking At You Kid
Genre: Indiepunk // Blues // Rock
Sounds Like: Alkaline Trio // Bruce Springsteen // Maxeen // The Lawrence Arms

VÖ: 22.08.2008

Es ist keine Wärmflasche, es ist keine Decke. Auch kein Heizlüfter und ebenso wenig ein Lagerfeuer. Es ist nicht einmal physischer Form. Und es teilt trotzdem den Effekt der just aufgelisteten Erfindungen menschlichen Schaffens. Es ist vielmehr die klopfende Hand auf der Schulter, die innige Umarmung eines Vertrauten, das therapeutische Lächeln eines Fremden, aufmunternde Selbstbewusstseinsstützen der Eltern. Und es sind The Gaslight Anthem.

„The '59 Sound“ ist ein riesiger Kübel, randvoll mit der Quintessenz dieses Gefühls. Ein Zaubertrank, extrahiert aus den guten Gesten guter Menschen. Nach Erstverzehr sind da erstmal die kühlen Gitarren, mal seichte und mal heftige Melancholie und flottes Tempo, so dass die Wirkung erst mit der mehrmaligem Genuss auftritt. Der ist durch die einer Setlist nachempfundenen Tracklist der Platte garantiert: Am Anfang Überhits mit Refrains, die catchy UND unpeinlich überwältigen („Great Expectations“, „The '59 Sound“, „High Lonesome“), grooviges Midtempo im Mittelteil mit den ganz ganz großen Melodien ("Film Noir", "Miles Davis & The Cool")und gegen Ende den Blues ins Spiel bringend, („Even Cowgirls Get The Blues“) bevor „The Backseat“ die Dramarturgie mit stürmenden Gitarren betrohnt. Der Clou ist, dass auch in diesen Zaubertrank jemand hineingeplumpst ist: Brian Fellon heißt der Obelix, Sänger und Gitarrist, Denker, Beobachter und Songwriter, inspiriert vom "Boss" höchstpersönlich oder auch Soullegende Otis Reading. Er hat dieses Gefühl in sich aufgesogen. Und davon so viel, dass er es der Welt jetzt zurückgeben kann. Menschen wie Fellon sind es, denen man zwar noch nie begegnet ist, auf die man sich dennoch verlassen kann. Wie ein Freund, den du Monate, vielleicht Jahre, nicht gesehen hast, mit dem es aber wie in den guten alten Zeiten ist, sobald du ihn dann wieder triffst.

Was Fellon tut, ist nicht mal auto-therapeutisch: er beobachtet Schicksale von Freunden, denkt über sie nach, versetzt sich in sie hinein und schreibt Songs über sie. In der ersten Person. Denn über sich selbst zu schreiben würde laut Fellon irgendwann nichts mehr bringen und wäre sowieso langweilig. Ein Gutmensch, der da spricht. Dabei klingt er wie die juvenile Reinkarnation von Bruce Springsteen. Blätter vor dem Mund werden zum Wärmen verbrannt: Das Unverständnis über das Sterben von Geliebten („The '59 Sound“), Paare auf der Suche nach Absolution („Meet Me By The River's Edge“), Familien im Clinch („Even Cowgirls Get The Blues“). Alles so drückend und beseelt gespielt, dass die Konkurrenz darunter zusammenbrechen wird. Und obendrein die drei markerschütternd ehrlichen Geständnisse in der aufwühlenden Bluesballade „Here's Looking At You Kid“: „And you can tell Jane, if she writes, that I'm drunk off all these stars and all these crazy Hollywood nights. That's total deceit, but she should've married me.“ Der Kloß im Hals ist ein Felsen, die Tränen in den Augen werden zum Fluß. „You know it's hard to tell you this. Here's looking at you, kid.“

Genau diese Wärme fühlt man bei Weakterthans-Konzerten. Das großartigste, was dem Punkrock in den letzten Jahren passiert ist. Auf diese Band muss man sich einigen. Nicht das Toastbroat neuerfunden, keine handwerkliche Offenbarung, okay. Aber es gibt Wichtigeres: brilliantes Songwriting, entwaffender Charme und textliche Tiefe - hier ringt die Emotionalität der Rationalität einen Kantersieg ab. Die Punk-Platte des Jahres. Vielleicht ist das Prefix auch überflüssig.

Gordon Barnard

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