Rezension
The Gaslight Anthem
American Slang
Highlights: American Slang // The Diamond Church Street Choir // Boxer // The Spirit Of Jazz
Genre: Souliger Punkrock
Sounds Like: Against Me! // Bruce Springsteen // Jupiter Jones // Hot Water Music // Tom Petty
VÖ: 18.06.2010
Man könnte wirklich meinen, Brian Fallon wäre mindestens Frührentner. Zumindest ließe sich die Vorliebe des Gaslight-Anthem-Frontmanns für Reminiszieren, Rückblicke und einen allgemeinen Overkill an Präteritumsformen so am besten erklären, die einem auf „American Slang“ geradezu ins Gesicht springt. Oder ist es die jahrelange Arbeit als Tischler, die zu den aging bones („Orphans“) geführt hat?
Man weiß es nicht. Fest steht aber: Die vielleicht ehrlichste Band des Punkrock (Zitat: Gefühlt jeder Pressebericht der letzten zwei Jahre) hat seit „The '59 Sound“ so einiges erlebt. Im Sauseschritt ging's von Online-Fanzine und autonomem Jugendzentrum in Feuilleton und Social-Distortion-Vorprogramm – und das nicht aufgrund einer ratternden Hype-Maschine, sondern dank einer enormen Emotionalität, die jeden, der „The '59 Sound“ oder den Vorgänger „Sink Or Swim“ zum ersten Mal hörte, sofort übermannte. The Gaslight Anthem war, um Kollege Barnard zu zitieren, innige Umarmung eines Vertrauten und therapeutisches Lächeln eines Fremden zugleich. Eine Band mit Bärchenfaktor.
Und wie leicht hätten The Gaslight Anthem davon profitieren können: Die gesteigerte Medien-Aufmerksamkeit nutzen, um den Soul in ihrem Soulpunk vollkommen durch Pop zu ersetzen und auch die noch zu bekommen, die vielleicht kein Herz am rechten Fleck, aber wenigstens das richtige Ohrwurmgespür haben. Sich ausschließlich auf ihr Gespür für Melodien verlassen und jeden Song zu so offensichtlichen Hits wie „Boxer“ und „The Spirit Of Jazz“ schneidern, die von Uncle Sally's bis Rolling Stone alle gleichermaßen begeistern. Aber wo wäre dann die Ehrlichkeit hin?
Eben. Und so lässt es sich das New-Jersey-Quartett nicht nehmen, mit dem fingerschnipsenden „The Diamond Church Street Choir“ jegliche überbeanspruchten Springsteen-Referenzen einmal komplett über den Haufen zu werfen und drei Minuten lang einfach reinen destillierten Soul zu atmen oder den Nostalgie-Abgesang „Old Haunts“ noch einmal mit dem Schmirgelpapier zu bearbeiten. Und trotzdem sind alleine Textzeilen wie and we called for our fathers, but our fathers had died („American Slang“) oder we were orphans before we were ever the sons of regret („Orphans“) wieder ein Zeichen dafür, wie es auch auf „American Slang“ wieder allerorten musikalische Umarmungen hagelt – auch wenn diese hin und wieder etwas verschmuster ausfallen oder ihnen freundschaftliche Knuffe auf die Schulter vorangestellt sein mögen. The Gaslight Anthem bleiben eben die ehrlichste und vielleicht auch beste Band, die der Punkrock in dieser Dekade bisher hervorgebracht hat. Und ganz vielleicht ist mittlerweile auch die Beschränkung auf dieses Genre unangebracht.
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