Rezension

Sam Amidon

Bright Sunny South


Highlights: Bright Sunny South // Short Life // My Old Friend // He's Taken My Feet // Weeping Mary
Genre: Folk // Avantgarde // Jazz
Sounds Like: Nick Drake // Nico Muhly // Ben Frost

VÖ: 17.05.2013

Warmer, sonniger Süden. Hier ist das dritte Album des Songwriters Sam Amidon. Moment – Songwriter? Auch. Aber auch Songfinder (später mehr), Komponist, kurz: Musiker. "Bright Sunny South" ist sein neuestes Werk, und es ist, nur soviel vorweg, ganz wunderbar geworden. Wunderbar, weil es schlicht ist, und zugleich großartig – und in all der Großartigkeit seine schlichte Basis nie verliert. Am Ende steht immer der Song an sich, doch die Kreativität und Vielfalt, die in dem Musiker aus Vermont, musikalisch zu Hause auf Bedroom Records, steckt, ist bemerkenswert.

Amidon arbeitet, ganz im Sinne des Avantgarde, viel mit Geräuschen, und das gibt "Bright Sunny South" eine Menge Lebendigkeit. Verschiedenste Instrumente finden sich auf dem Album, Streicher, Bläser, jazziger Touch, mal behutsam, mal eindringlich. Vorallem ist die Auswahl immer genau richtig, niemals überladen oder gar pathetisch, sondern bedacht. Auch Amidon selbst findet immer den richtigen Ton, die meiste Zeit singt er in zurückhaltender Schönheit, doch wenn nötig, röhrt er auch mal drauflos. Seine Texte dabei sind simpel, dafür aber von großer Schönheit, so beispielsweise "My Old Friend": "My old friend // I recall // the times we had are hanging on my wall // I wouldn't trade them for gold." Sehr gelungen ist auch die Produktion, die all dieses unter einen Hut bringt und jedem Aspekt genug Raum zum Atmen gibt – für die Wahrnehmung und Wirkung der Platte sehr wichtig. Denn durch diese Mischung aus kreativer, aber nicht überambitionierter Musik und reinen Texten wird der bloße Song an sich nie aus den Augen verloren. Wer will, kann "Bright Sunny South" als reine Singer-Songwriter-Platte hören, wer tiefer in die Materie eintauchen will, hat eine Menge zu entdecken, so vielfältig ist die Platte dann, selbst für Frickel-Nerds. Man nehme als Beispiel nur den totalen Ausbruch am Ende des großartigen "He's Taken My Feet", auf den nichts Anderes als eine behutsame Panflöte am Anfang von "Pharaoh" folgt. Man könnte aber jeden x-beliebigen Moment der Platte aufgreifen, denn sie ist ein Gesamtkunstwerk.

Das überrascht nicht, denn Amidon ist jemand, der die Musik als Ganzes begreift, er ist mit ihr – die Eltern beide Folkmusiker – aufgewachsen, hat sie im wahrsten Sinne des Wortes mit der Muttermilch aufgesogen (Hier covert er mit "Weeping Mary" letztlich sogar seine eigenen Eltern). Genregrenzen übergreifend extrahiert er den Song als solchen, bringt ihn in seine Reinform. Eher noch fühlt es sich so an, dass der Song schon da war, irgendwo in dem unirdischen, surrealen Brei, den es irgendwo geben muss, aus dem Musik entsteht, und Amidon greift ihn sich und bringt ihn zur Welt und ein paar Geräusche gleich mit. Daher spielt es hier auch nur eine untergeordnete Rolle, ob er einen Song covert oder selbst entwickelt. Wenn jemand anderes dem Song vorher schon Ausdruck verliehen hat, ist Amidon sich nicht zu schade, ihn auf seine Art neu auszudrücken. Und so transportieren seine Songs beim Hören dieses Gefühl, etwas zu sein, das man, obwohl man es gar nicht kannte, vermisst hätte, wäre es nicht aufgetaucht.

So fühlt sich die Bewertung der Musik Amidons in gewissen Ausmaßen so an, als würde man Musik an sich bewerten. Denn Amidon bietet nicht mehr und nicht weniger als seine Essenz von Musik als Ausdrucksform, als Kunstform. Dabei coverte er nun schon sowohl R. Kelly oder Mariah Carey als auch Tears For Fears oder Tim McGraw. Gleichzeitig bietet er aber auch die Essenz von Musik als Begleiter für eine Wanderung durch die Gedankenwelt und die äußere Realität des Lebens. Die Platte hörend, fühlt man sich – z.B. durch eine alte Bratsche, die auf einmal auftaucht und wieder verschwindet ("Short Life") –, so als würde sie einem am Wegesrand begegnen, nicht selten so stark in eine Situation des rastlosen Wanderers auf Trampelpfaden durch weite Felder hineinversetzt, dass man die Natur schon riechen kann. So sagt auch Amidon selbst, die Platte sei "more of a journey, a winding path". Amidons Texte sind in einfachen Worten vorgetragen, doch durch das Gesamtgefühl der Rastlosigkeit der inneren und äußeren Welt dieses schlichten Kunstwerks werden Sphären angeregt, die weit tiefer gehen.

Viele Singer-Songwriter gewinnen die Schönheit und den Tiefgang ihrer Musik aus Trauer und Verzweiflung. Sam Amidon nicht. Er gewinnt sie aus der Vielfalt des Lebens, aus all seinen Facetten, nicht nur den traurigen. Die Grenzen des Raumes, der sich dem Hörer durch diese Platte öffnen mag, legt mehr der Hörer fest als die Platte. Und diese Tatsache allein bringt die Größe dieses Werkes auf den Punkt. "Bright Sunny South" ist eine Bereicherung für jedermann.

Daniel Waldhuber

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"My Old Friend" im Stream.

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