Interview

Gogol Bordello


Wir schreiben den 23.06.06 und befinden uns in Scheeßel. Richtig, das Hurricane Festival. Genauer gesagt irgendwo Backstage im VIP-Bereich. Illustre Gestalten wie Paul Smith torkeln vorbei, Thees Uhlmann, Hinz und Kuntz. Und dann kommt er auf mich zu. Eugene Hutz, der 2 Meter lange Frontmann und Chefideologe der genialischen New Yorker Gypsy Punk Immigranten-Kapelle Gogol Bordello. Geschmückt wie der Held in einem kitschigen rumänischen Zigeuner-Film über Liebe, Mord und Intrigen, einen brennenden Filter zwischen den Lippen und eine volle Weinflasche in der linken spinnenähnlichen Hand. Dazu dieser grimmige und furchteinflößende Blick. Ich hatte Angst. Mein Vorteil: Ich konnte das ganze Gespräch mit ihm auf russich führen, das hat er nicht erwartet und das stimmte ihn erstmal wohl. Mein Nachteil: Ich wollte ein Gespräch mit ihm führen. Die nächsten dreißig Minuten sollten durchtränkt sein mit den schlimmsten Schimpfwörtern, die die russische, englische und ukrainische Sprache zu bieten haben. Und so viel Herzblut wie selten.

Privet Schenja (die Kurzform von Yewgenij), wie geht es dir? Tolle Show vorhin, ich bin noch immer ziemlich benebelt. Hat der Osten heimlich etwa doch gewonnen?

Eugene: Du Hosenscheißer hast doch keine Ahnung. Das vorhin, das war gar nichts, das war nichtmal Aufwärmung, das war Bullshit, man, Bullshit. So wie dieser Bastard von beschissenem Wein in meiner Hand, hier probier mal.

Oh, Danke. Ja der Wein ist wirklich Mist, fast so wie euer Auftritt, der war echt zum Kotzen.

Eugene: Willst du mich verarschen, du kleiner Klugscheißer? Gogol Bordello machen keine scheiß Shows, alle machen schlechte Shows, aber nicht Gogol Bordello. Wir sind Gogol fuckin' Bordello und bevor wir eine schlechte Show machen, gewinnt die Schweiz den nächsten Weltkrieg.

Warum so unentspannt?

Eugene: Weil das hier nicht fuckin' New York ist, wo man unsere Musik zu schätzen weiß, und was weißt du schon. Trink!

Spielt ihr ungerne hier, oder wie hab ich dich zu verstehen?

Eugene: Mir ist scheißegal, wo ich die East Infection verbreite, die Menschen müssen nur richtig drauf sein. Alles dreht sich um Musik, der ganze restliche Scheiß interessiert mich nicht.

Was ist mit dem Film?

Eugene: Scheiß auf diesen scheiß Film, der interessiert mich nicht, dieser beschissene Film ist in Tchechien gedreht und interessiert mich nicht. Mich interessiert nur die gottverdammte Musik und sonst nichts, verstehst du. In der Band sind wir alle richtige Musiker, keine beschissenen Kinder, die sich Heroin in die Venen spritzen und behaupten, Musiker zu sein. Jeder von uns ist Vollblutmusiker, Musik ist unsere Muttermilch gewesen, wir sind verflucht gute Musiker, so verflucht gut, dass andere uns Morddrohungen schicken, wir sollten besser aufhören, weil wir einfach zu verflucht gut sind. Elijah Wood und irgendwelche Ringe, die bei irgendwelchen Omas in der Ukraine versteckt sind, interessieren mich verdammt nochmal nicht, verstehst du das zum Teufel? Warum in aller Welt zur verdammten Hölle reden wir nicht über meine Musik?

Jetzt pass mal auf: Du und ich sitzen hier auf dieser hässlichen Couch und führen dieses gottverdammte Interview. Wenn dir das nicht passt, ist das okay, geh, ist mir scheißegal. Wenn du aber kein peinlicher besoffener Ukrainer bist, dann bleibst du hier und redest mit mir wie zwei Männer aus dem Ostblock das verdammt nochmal in einem beschissenen deutschen Kaff tun sollten, alles klar?

An dieser Stelle klopft mir Eugene laut lachend auf die Schulter, wir sind beide einfach zu betrunken, um uns normal zu verhalten.

Eugene: Okay Kid, du hast recht, lass uns über meine Musik reden: Was magst du von uns am meisten?

Ich mag die East Infection-EP sehr und...

Eugene: Diese gottverdammte EP ist das schlechteste, was wir je produziert haben und für diesen Dreck sollten du und ich in der Hölle schmoren, denn ich mag sie auch.

Sie klingt so unangestrengt...vor allem die lieblichen Vocals: "Lilili-lalala-lilili-lalala-ladidada"

Eugene: Diese verfluchte EP war das anstrengendste Stück beschissener Arbeit in unserem Leben, purer Zwang, fucking making a name, you know Towarish?

Making a fucking name? Na das ist spätestens seit eurem aktuellen Album nicht mehr nötig.

Eugene: Aber bis dahin war es ein verflucht langer Weg gepflastert mit viel Scheiße. "Start wearing purple", so einen Song schreibst du nicht jeden Tag, verstehst du das? Nein, das verstehst du nicht.

Fängst du schon wieder an? Wie auch immer, heute läuft es doch blendend. Was für Leute kommen auf eure Shows denn? Da muss doch alles da sein, was kann.

Eugene: New York ist vielschichtig und so auch unser Publikum. Am wenigsten kommen die Russkis, vielleicht 2% Russkis, so Leute wie du am wenigsten. Ansonsten kommen alle, my black friends, die Juden kommen auch, viele Juden, Zigeuner, real Gypsies, you know? Verfluchte Leute wie wir, Menschen, die sich durchbeissen müssen, Immigrant Punks, fuck, alle kommen, auch die Amis kommen, klar kommen auch die, wir sprechen ja alle mit dem Gogol Bordello-Gypsy-Immigrant-East Infection-Sound an, shit, alle kommen sie, sogar du bist gekommen.

Nennst du mich nochmal einen Russki, setzt es was.

Eugene: Ha, ich wusste es. Bist du Halbblut, so wie ich?

Nein, ich hab keine ziganischen Wurzeln, slawische und jüdische.

Eugene: Also bist du ein fuckin' "Shyid" (Schimpfwort aus der Ukraine für Juden).

Ich bevorzuge andere Ausdrucksweisen, aber im Grunde schon.

Eugene: Dann hast du ja doch Chancen unsere Musik zu verstehen. Wir haben ja auch Zigeuner, Juden, und mich, ich bin halb Zigeuner, halb Slawe.

Welche verdammte Bedeutung hat das?

Eugene: Da sieht man, dass du aus Germany kommst, Kid. Wurzeln sind wichtig, sie halten dich auf dem Boden der Tatsachen, natürlich sind Wurzeln scheißegal, aber sie sind wichtig, das ist doch ganz einfach, nur hier versteht das wieder keiner.

Doch, ich glaube, ich hab eine Ahnung davon, was du meinst.

Eugene: So ist es auch mit unserer Musik, viele Einflüsse und ein perfektes Resultat.

Ihr habt sogar eine getoastete Reggae-Passage auf dem neuen Album.

Eugene: Wir hätten ihn gerne mit auf Tour genommen, aber das ging nicht...fuckin' papers, you know...Immigrant Punk.

Scheiße, das ist natürlich hart.

Eugene: Letztens, da haben sich bei uns im Van...nein, das erzähle ich jetzt nicht. That is fucking world politics. We are living good, they are fucked up, you know.

Da ist was dran, aber du erzählst nicht explizit über solche Sachen in deiner Musik.

Eugene: Sind wir fuckin' Anti-Flag, or what? Das Klopapier von George Bush können andere aus seinem Mülleimer sammeln und sich über den Gestank beschweren, wir sind auf einer viel subtileren Ebene politisch. Die beschissene Flasche ist leer, hast du sie zum teufel ausgetrunken? Wenn das wahr ist, kannst du was erleben.

Ich glaube nicht, dass Bush ein ukrainisches Plumps-Klo besitzt, bei welchem man das Papier in den Müll schmeißt. Die Flasche haben wir uns geteilt, Eugene.

Eugene: Warum merke ich dann nichts, Klugscheißer?

Toleranz?

Eugene: Good point. Hast du eine Zigarette?

Nein, ich rauche nicht.

Eugene: Aber trinkst bei der Arbeit, ihr Shyids seid doch alle gleich. (lacht)

Du stehst auf Schubladen, was?

Eugene: Ich scheiße in Schubladen, und mache sie dann zu, damit sie jemand anderes aufmacht und sich daran erfreuen kann. Wir sind Gogol Bordello, reden in unserer Band gogolbordellisch und arbeiten gogolbordellisch, eine Schubalde existiert für uns nicht.

Was für Musik interessiert dich zur Zeit, abgesehen von deiner eigenen?

Eugene: Seeed, die haben schon angefangen auf der großen Bühne dort drüben, hörst du? Und Manu Chao, die spielen heute Abend. Alles gute Freunde von uns. Firewater, aber die existieren ja so gut wie gar nicht mehr. Und jetzt geh ich zu Seeed rüber.

Aber gerne doch, ich bedanke mich. Und wehe du vergisst das hier jemals.

Eugene: You're officially immigrant-punked (sagt es, gibt mir die rechte Hand zum Abschied und zupft mit der linken an meinem T-Shirt).

Konstantin Kasakov

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