Rezension

Turbostaat

Vormann Leiss


Highlights: Harm Rochel // Der Frosch Hat's Versaut // Nach Fest Kommt Ab
Genre: Neo-Punk
Sounds Like: Oma Hans // Muff Potter // Dackelblut

VÖ: 17.08.2007

Wer an deutschsprachige Punkbands denkt, dem werden zunächst vielleicht Kassenschlager vom Kaliber "Ärzte" oder "Toten Hosen" einfallen: Zumindest in den letzten Jahren Garanten für lustige und ernste Liedchen über allerlei Neben- und Hauptsächlichkeiten des Lebens, denen die ursprünglich politische Ausrichtung der Punkmusik kaum noch anzumerken ist. Auf der anderen Seite Bands wie die mittlerweile aufgelösten ZSK, deren politisches Bewusstsein sich meist in plumpen Parolen manifestiert. Irgendwo dazwischen die sogenannten Emo-Punk-Bands wie Muff Potter oder Jupiter Jones, die mit Vorliebe menschliche Gefühlszustände in ihren Texten thematisieren. Und dann, ja, und dann gibt es Bands wie Turbostaat.

Zu sagen, dass Turbostaat sich irgendwo zwischen die Stühle setzen, ist an sich Unsinn. Passender ist: Turbostaat zertrümmern jegliches Sitzmobiliar und den Rest der Einrichtung am Liebsten gleich mit. Klar, Turbostaat sind bisweilen politisch und stimmt, sie behandeln auch persönliche Themen. Aber stumpfe Phrasendrescherei à la "Stop the war" oder "Du fehlst mir" war niemals die Stärke - oder Schwäche? - des Fünfers aus Schleswig-Holstein, und das ändert sich auch auf "Vormann Leiss" nicht. Ganz im Gegenteil werden eher Freunde des hermeneutischen Lyrikzerzupfens ihre Freude an Turbostaat haben, die sich bereits an den Songtiteln austoben können, welche im seltensten Fall irgendetwas über den jeweiligen Song aussagen: Wo sich in "Der Frosch hat's versaut" und "Hau ab die Schildkröte" noch unterschwellige Abneigungen gegen Wassertiere hineindeuten lassen, verzweifelt ein nicht total geisteskranker Interpret bei Neologismen wie "Harm Rochel" oder "Ja, Roducheln!!!" (soll das ein Verb oder eine Pluralform sein???) vollkommen.

Ganz so kryptisch sind die Lyrics selbst zum Glück nicht, unbedingt diskussionswürdig für jede vollständige "Vormann Leiss"-Rezension sind sie deswegen nicht weniger. Sei es die ungewöhnliche Verarbeitung heikler Themen wie Kindermord in "Der Frosch hat's versaut" (Wenn der Fleck dich stören wird, schau weg! Schau weg!) oder ein simples, aber verdammt eindringliches HUSUM, VERDAMMT!, mit dem die "Ode" auf Turbostaats Heimatstadt Husum beschlossen wird ("Insel"): Die Texte hinterlassen häufig ein Gefühl der Beklemmung, das in der deutschsprachigen Musikszene seinesgleichen sucht. Wer dazu noch einen derart markanten (Sprech-)Sänger wie Jan Windmeier in der Band hat, der wahrscheinlich selbst durch das Vorlesen von Telefonbüchern jedem Zweiten eine Gänsehaut bescheren würde, hat im Prinzip alles richtig gemacht.

Zugegeben, die instrumentale Präsentation des Ganzen ist nicht ganz so eindrucksvoll. Eine Gitarre, noch 'ne Gitarre, ein Bass, ein Schlagzeug, die Betonung mal auf dem einen, mal auf dem anderen. Weder Rhythmik noch Melodieführung allzu originell, mal schneller, mal langsamer. Aber: Immer druckvoll, immer energiegeladen, immer besagte wahnsinnige Texte eindrucksvoll untermalend - ist mehr nötig? Ich sage: Nein.

Letzter Absatz, Zeit fürs Fazit. Gut fällt dieses aus. Wer jemals befürchtet hatte, dass Turbostaat nach ihrer Zusammenarbeit mit den Beatsteaks ("Frieda und die Bomben", mittlerweile zu hören in der Rock-Abteilung der Großraumdisco Ihres Vertrauens) irgendwelche Zugeständnisse an irgendwen oder irgendwas machen, dem spucken die fünf Nordlichter einen großen Schwall Meeresgischt ins Gesicht. Was bleibt zu sagen? Nicht viel, außer einem anerkennenden: Husum, verdammt. Husum, verdammt nochmal!

Jan Martens

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