Rezension

Titus Andronicus

The Monitor


Highlights: Richard II // A Pot In Which To Piss // Theme From "Cheers" // The Battle Of Hampton Roads
Genre: Lo-Fi-Punk // Indie-Rock
Sounds Like: Desaparecidos // Billy Bragg // Hot Water Music // The Hold Steady

VÖ: 09.03.2010

Meine Damen und Herren, wir präsentieren: Die (nett gesagt) ambitionierteste beziehungsweise (freier heraus gesagt) größenwahnsinnigste Band des Jahres 2010. Mit einem Konzeptalbum über das Haupttrauma des amerikanischen Volksverständnisses, den Bürgerkrieg, sollte sich ein Haufen junger Punks aus New Jersey, der den bereits auf ihrem Debütalbum „The Airing Of Grievances“ zu konstatierenden Referenzen-Wahnsinn auf eine neue Stufe hebt und von Billy-Bragg-Zitaten beinahe nahtlos zu Gedichten Walt Whitmans als Interlude springt, eigentlich maßlos übernehmen – hier bewahrheitet sich hingegen nach knapp zwei Jahren bereits eine Prophezeiung des Erstlings: I'll write my masterpiece some other day.

Im Endeffekt sind es nämlich viel mehr Themen als der Konflikt zwischen Nord- und Südstaaten, die Titus Andronicus mit ziemlicher lyrischer Brillianz auf „The Monitor“ auseinandernehmen, und zuvorderst immer wieder die vielen möglichen Arten des Umgangs mit dem eigenen Versagen: Das gute Gefühl etwa, sich mit Freunden ins Koma zu saufen, denen es genauso geht, hier verpackt in „Theme From 'Cheers'“ und seine drei Akte, die in fünf Minuten von Billy Bragg zu Hot Water Music und zurück sprinten und schließlich in einem Skatepunkoutro allererster Kajüte kulminieren. Oder die finale Akzeptanz, wenn die letzte Minute von „No Future Part Three: Escape From No Future“ einem Chor überlassen wird, der wie die Ultras in der Fankurve ein ermutigendes You will always be a loser skandiert und letztendlich feststellt: But that's okay.

Ist das schon Grund genug, um die viel zu enge Schublade „Punk“ für Titus Andronicus zu sprengen, klappt die Kinnlade spätestens zur Albummitte endgültig herunter, wo mit „A Pot In Which To Piss“ und „Four Score And Seven“ ein neunminütiges Epos auf das andere folgt, die beide selbst Green Day's „American Idiot“ irgendwie mickerig aussehen lassen: Eine Prise Indierock hier, sanfte Akustikpassagen mit Mundharmonika dort, zwischendurch das treibendste Drumsolo seit langem sowie heimliche Anwärter auf die Textzeile des Jahres (You ain't never been no virgin, kid, you were fucked from the start), gekrönt mit einer heimlichen Classic-Rock-Einlage.

Letztere huldigt nicht nur indirekt Craig Finn von The Hold Steady, der unmittelbar darauf Walt Whitmans „Vigil Strange I Kept on the Field One Night“ rezitieren darf, sie nimmt auch das fröhliche Credo I'm destroying everything that wouldn't make me more like Bruce Springsteen aus dem Schlusstrack „The Battle Of Hampton Roads“ voraus. Bis dieser mit seinem enormen instrumentalen Schlussteil, dem nicht einmal opulenter Dudelsackeinsatz etwas anhaben kann, „The Monitor“ beschließt, dauert es ganze 14 Minuten, doch lässt sich der Gesamteindruck des Albums wohl besser mit dem Titel des ungleich kürzeren „Titus Andronicus For Ever“ zusammenfassen. I will not equivocate, I will not excuse, I will not retreat a single inch, and I will be heard, so lassen Titus Andronicus den Abolitionisten William Lloyd Garrison diesen Song einleiten, und mir bleibt nur zu sagen: Das werdet ihr bestimmt, ihr verrückten Hunde. Das werdet ihr.

Jan Martens

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