Rezension

The Hold Steady

Boys And Girls In America


Highlights: Stuck Between Stations // First Night
Genre: Rock
Sounds Like: Bruce Springsteen // Guided By Voices // The Wrens

VÖ: 16.02.2007

There are nights when I think that Sal Paradise was right
Boys and girls in America have such a sad time together
Sucking off each other at the demonstrations
Making sure their makeup's straight
Crushing one another with colossal expectations
Dependent, undisciplined, sleeping late

Gleich die ersten sechs Zeilen machen unmissverständlich klar, was The Hold Steady meinen, wenn sie ihr drittes Album "Boys And Girls In America" nennen. Und sie meinen es ernst: Der Titel wird zum zentralen Thema, die Eröffnungszeilen formulieren die Quintessenz der folgenden elf Lieder. In der Theorie bereits außergewöhnlich genug, haben wir es in der Realität obendrein mit einem Zitat aus Jack Kerouacs Roman "On The Road" zu tun. Der Protagonist Sal Paradise, ein jugendlicher Italo-Amerikaner, reist durch die Vereinigten Staaten und macht dabei eben jene Feststellung: Boys and girls in America have such a sad time together.

Der Song dazu nennt sich "Stuck Between Stations" und steht beispielhaft für zehn weitere Stücke, die sowohl textlich als auch musikalisch kurz gesagt brillant sind. Es wäre falsch, die lyrische über die musikalische Komponente zu stellen, doch erlangt sie aufgrund der hervorragenden Erzählweise eine in letzter Zeit selten gehörte Bedeutsamkeit. Verantwortlich dafür zeichnet sich Craig Finn, der seine Geschichten so nachdrücklich vorträgt, dass man gar nicht anders kann, als mit den Figuren mitzufühlen, sich vielleicht sogar selbst mehr als Mitspieler denn als Zuhörer zu begreifen.

Das liegt vermutlich auch daran, dass es um Erfahrungen geht, die jeder gemacht hat. Vorausgesetzt, man war schon mal verliebt, denn darum geht es hier vor allem. Um Liebe. Um Missverständnisse, Enttäuschung, Frust, Drogen und Alkohol auf der einen Seite, um neue Bekanntschaften, Küsse, Alkohol und Du-weißt-schon-was auf der anderen. Zwar tragen sich all diese Geschichten in einer ziemlich amerikanischen Welt zu, das macht es jedoch nur unwesentlich schwieriger, sie zu verstehen. Und jetzt kommt erst der Knaller: Im besten Fall gewährt dieses Album auch dem Nicht-Amerikaner einen detaillierten und realistischen Einblick in die dortigen Verhältnisse zwischen Boys und Girls.

Musik? Musik! Ein kleines Problem gibt es leider. Viele Songs nehmen sich nicht nur in Sachen Qualität, sondern auch in der Struktur nicht viel. Das ist jetzt nicht so richtig schlimm, weil die Songs trotzdem super sind. Und doch sollen an dieser Stelle nur die zwei absoluten Highlights hervorgehoben werden. Zum einen wäre das "Stuck Between Stations", über dessen Text wohl nichts mehr gesagt werden muss. Über die Musik schon: Erst kommt die verzerrte Gitarre von Tad Kubler aus dem linken Lautsprecher, dann hört man rechts das Piano von Franz Nicolay. Die beiden stechen an zahllosen Stellen auf "Boys And Girls In America" mit ihren Melodien heraus - und in "Stuck Between Stations" besonders. Die Akkordfolge, die der Gitarrist im Refrain präsentiert, ist mehr Rock'n'Roll als jedes noch so zertrümmerte Schlagzeug. Alles klar? The Hold Steady müssen wahrlich keine Vergleiche scheuen, und der Witz kommt direkt hinterher: Es gibt auch keine. Natürlich hat man es hier mit klassischer Rockmusik zu tun, doch wann hat man so dicke Gitarren und so toll klimpernde Tasteninstrumente zuletzt gehört? Die Antwort "noch nie" schieben wir vorsichtig auf das Pech der späten Geburt meinerseits.

Das ist journalistisch gesehen natürlich inakzeptabel. Mindestens ebenso inakzeptabel ist es aber, von zwei absoluten Highlights zu reden, um dann ganz frech nur eines zu nennen. Soll heißen: Wer "zum einen" sagt, muss auch "zum anderen" sagen. Zum anderen wäre da nämlich "First Night", eine Ballade, die in Zukunft für einen überdurchschnittlich großen Benzinverbauch auf Hold-Steady-Konzerten sorgen dürfte. In geschwenkten Feuerzeugen. Die sollte man aber nach der Hälfte des Songs lieber wegpacken. Denn The Hold Steady holen zur ganz großen Geste aus, wenn man den Song schon für beendet hält. Aus der Stille entwickelt sich die für das Album typische Euphorie, es erhebt sich das Klavier, Craig Finn wiederholt jene fünf Wörter, die ihn so sehr beschäftigen. Dass jene fünf Wörter zusammen den Albumtitel "Boys And Girls In America" ergeben, sollte nun bitte niemanden mehr überraschen.

Mario Kißler

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