Rezension

The Felice Brothers

The Felice Brothers


Highlights: Frankie's Gun! // Wake The Scarecrow // Take This Bread // Tip Your Way
Genre: Americana // Country // Folk
Sounds Like: Bob Dylan // Bruce Springsteen // Bob Dylan // The Band // Bright Eyes // Hab ich Bob Dylan erwähnt?

VÖ: 04.04.2008

Mein lieber Conor Oberst, da steckst du aber ziemlich in der Scheiße, wegen der Geschichte mit den Felice Brothers. Nein, musikalisch und qualitativ spricht absolut nichts dagegen, dass du die drei Brüder +1 für dein eigenes Team-Love-Label verpflichtet hast, aber denk doch mal über die Begleitumstände nach: Ist es dir wirklich nie in den Sinn gekommen, dass es nicht nur ethisch nicht ganz einwandfrei sein könnte, den Bob Dylan der 60er Jahre mittels Zeitmaschine ins 21. Jahrhundert zu holen, sondern auch für einen gewaltigen Knacks im Raum-Zeit-Kontinuum sorgen könnte?

Nein, Conor, du musst dich gar nicht herausreden und auf die "Biographie" der Band verweisen, die da erzählt, wie Ian, James und Simone Felice aus den tiefen Catskill-Mountains nahe New York (wie tief, das kann man alleine daran bereits abmessen, dass die Eltern in den Catskill-Mountains immerhin ihre Söhne Simone zu nennen pflegen) den ehemaligen professionellen Würfelspieler (!!) mit Namen Christmas (!!!) aufgabelten und mit ihm eine Band gründeten; wie deine Bright Eyes diese Band mit auf Tour entlang der amerikanischen Ostküste nahmen und wie deren Debüt-Album "Tonight At The Arizona" immerhin Platz 13 der letztjährigen Album-Of-The-Year-Charts des Guardian eroberte. Das ändert überhaupt nichts daran, dass Ian Felice mehr nach Bob Dylan klingt als Bob Dylan selber nach Bob Dylan klingt, was unmöglich ohne die eindeutig plausibelste Theorie "Zeitreise" erklärt werden kann. Aber weil auch das zweite Album der Felice Brothers nicht von schlechten Eltern ist, wollen wir da mal ein Auge zudrücken.

Verwundern kann jedoch, dass die Felice Brothers mit dem Guardian ausgerechnet eine urbritische Zeitung zu ihren größten Fans gemacht haben, da die Musik des Quartetts an sich so amerikanisch ist wie Uncle Sam, der mit dem Lasso Cheerleader fängt. Americana kann man sie nennen, oder Folk, oder Country, unter dem Strich ist sie jedoch eine Melange, die seit mindestens 40 Jahren nicht unter den Augen beziehungsweise in den Ohren der Öffentlichkeit stattfand. Klavier und Akkordeon geben Ton und Melodie an, verstimmte Trompeten werden nach Belieben dazugetrötet, hier und da setzt eine Kirchenorgel ein und fertig ist der perfekte Mix für die frühen Abendstunden in Bill's Kneipe, in der sich die Blue-Collar-Worker bei 3,4 Bier von einem anstrengenden Tag im Sägewerk erholen. Besonders erwähnenswert sind hier beispielsweise "Greatest Show On Earth", dessen einleitende, fröhliche Klaviermelodie auch einen Stummfilm der 20er Jahre hätte untermalen können, sowie das beswingte "Take This Bread", dem eigentlich nur ein afro-amerikanischer Background-Gospel-Chor zur Vollkommenheit fehlen würde und das sich sicherlich großartig eignen würde, um nach einer Bürgerkriegsinszenierung in Louisiana den darauf folgenden Dorftanz zu untermalen. Dass diese Assoziation weder sarkastisch noch in irgendeiner Form negativ gemeint ist, spricht für die Felice Brothers.

Und da ja bereits etabliert wurde, dass der Sänger der New Yorker Brüder eigentlich Bob Dylan sein MUSS, können auch die textlichen Qualitäten der Band nicht verwundern. Die folgenden einleitenden Zeilen aus "Saint Stephen's End" sollten in etwa die Bandbreite an mal lustigen, mal traurigen Geschichten verdeutlichen, die die Felice Brothers erzählen: Did you hear about Saint Stephen's End? How they stung him by the riverbank? In the morning sun, when the world was young. Did you hear about the elephant? That ran wild from the circus tent? Killed a crowd of ten, before they shot him dead. Inhaltlich glänzen kann jedoch auch die Handvoll Lieder, die von anderen Felice-Brüdern vorgetragen werden, "Don't Wake The Scarecrow" beispielsweise, das eine Liebesgeschichte mit Wizard-of-Oz-Symbolik verbindet.

Vielleicht einziger, aber nichtsdestotrotz wichtiger Kritikpunkt des Albums: In der zweiten Hälfte der immerhin 15 Songs umfassenden Platte flachen Qualität und Originalität spürbar ab, Songs wie "Ruby Mae", "Murder By Mistletoe" und vor allem das mit zuviel Orgelgeklimpere künstlich in die Länge gezogene "Helen Fry" stehen deutlich hinter Songs wie "Frankie's Gun!" zurück, erst die abschließenden "Radio Song" und "Tip Your Way" wissen wieder zu entzücken. Nichtsdestotrotz sind die Felice Brothers für all jene genau das Richtige, die nach den enervierenden 80er-, 70er- und 60er-Revivals einmal Lust haben, in noch älteren Fächern des Musikregals des letzten Jahrhunderts zu wühlen - naja, natürlich nur, so lange einen das mit dem Raum-Zeit-Kontinuum nicht stört...

Jan Martens

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