Rezension

Passion Pit

Gossamer


Highlights: Carried Away // Constant Conversations
Genre: Elektro-Pop
Sounds Like: Architecture In Helsinki // FM Belfast // Hudson Muhawke

VÖ: 20.07.2012

Auf "Gossamer" versuchen Passion Pit, die Samariter des Pop zu mimen. Eine kräftige Portion gute Laune und Tatendrang haben sie kostenlos an alle abzugeben. Bei genauerem Hinhören bauen sich allerdings tiefe Abgründe auf, die hinter all dieser schillernden Instrumentierung in den Lyrics versteckt sind. Das scheint schon im zweiten Song “I´ll be alright” auf ironische Weise ziemlich schnell durch. Mit seinen verspielten elektronischen Quirlen erinnert der Track stark an Hudson Mohawkes Spielzeugautomaten-Elektronik, die mit FM Belfasts Unbeschwertheit gepaart wurde. Dazu gesellt sich ein auf ironische Weise fröhlich dargebotenes "I drink a tea and take a couple of my pills // Then my parade will give you chills." Wenn man bedenkt, dass Sänger Michael Angelakos angibt, die Lyrics seien autobiographisch und er zudem die Album-Release-Tour absagte, um seine "geistige Gesundheit" zu verbessern, klingt das nicht unbedingt danach, als ob alles in Ordnung sei.

In den Songs auf "Gossamer" gibt es teilweise bis zu 120 Instrumentalspuren zu hören, die über-, neben- und untereinander gelegt wurden. Da soll sich noch jemand wundern, dass einem beim Hören an manchen Stellen fast schwindelig wird, sodass man am liebsten, um ein Genervtsein zu umgehen, schnell zum nächsten Song klicken möchte. Hätten sich Passion Pit nur halb so viel Mühe damit gegeben, "Gossamer" zu einer äußerlich vor guter Laune und Lebensfreude nur so strotzenden Platte zu machen, hätte das mit der guten Laune am Ende definitiv doppelt so gut funktioniert.

Stattdessen gibt es neben all den Sounds aus der Büchse auch noch eingespielte Streicher, einen unerwarteten A-Cappella-Part ("Two Veils To Hide My Face") und ein überzeugendes Weinen des Geistes in „Cry Like A Ghost“, der in seiner schrillen Art stark an Mariah Careys hohe Tonlagen denken lässt.

"Constant Conversations" bietet in all dem bunten Rummel eine willkommene Abwechslung, mit seinen vom R'n'B angehauchten, eine Geschwindigkeitsstufe herunter gedrehten und nachdenklicheren Tönen. Auch in "It's Not My Fault" glaubt man endlich von der musikalischen Hüpfburg herunter gekommen zu sein und zur Ruhe kommen zu können, wenn Angelakos in angenehmer, weicher und zurückhaltender Weise singt – bis der schrille weibliche Gesang zum Refrain einsetzt und wieder einen Tropfen zu viel ins übervolle Glas gibt.

Auch wenn eigentlich klar ist, dass "Gossamer" kein einfach zu schluckendes Gute-Laune-Album ist, so denkt man sich dennoch beim Hören immer wieder: "Mensch, das klingt ja alles so furchtbar nett hier!". Aber was fängt man mit diesen "netten" Songs an? Hört man sie sich als Anheizer beim Joggen an? Tanzt man dazu im Aerobic-Kurs? Freut man sich über sie, wenn man sie zufällig im Radio wieder erkennt? Oder sind sie einem einfach so egal, dass sie bei der nächsten Möglichkeit von etwas Spannenderem aus dem Gedächtnis verdrängt werden? Letzteres wird wahrscheinlich der Fall sein, auch wenn es schade ist – denn tiefgründiges Potential hätten sie auf jeden Fall gehabt.

Marlena Julia Dorniak

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Schräges Sippentreffen im Video zu "Constant Conversations"

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