Rezension

Deerhunter

Halcyon Digest


Highlights: Sailing // Desire Lines // Revival
Genre: Shoegaze // Indie // Dream-60s Pop
Sounds Like: Atlas Sound // Animal Collective // Grizzly Bear

VÖ: 24.09.2010

Da hört man bereits im Vorfeld so viel von Album Nr. 4 von Deerhunter, dass man es kaum noch erwarten kann, selbst in das gute Stück reinzuhören. Denn nach drei Alben, die ihrerseits weit davon entfernt waren, durchschnittlich oder gar Ausfälle zu sein, soll "Halycon Digest" nun das beste sein? Die Erwartungen sind hoch.

Und sie werden übererfüllt. Selten hat man eine Band erlebt, die so gekonnt zwischen Retro-Pop, Noise und Shoegaze hin und her pendeln konnte, ohne dabei verloren, zumindest aber instringent zu wirken. Diese Hürde wäre nun genommen. "Earth Quake", der Eröffnungstrack zu "Halycon Digest", ist alles andere als das erwartete Noise-Gewitter und lange kein Erdbeben. Stattdessen säuselt Bradford Cox in einen Track hinein, der die musikalische 1:1-Umsetzung eines seichten Sommerregens ist. "Don't Cry", "Revival" und "Memory Boy" sind eine so dichte Verwebung aus Dream- und 60s-Pop, dass man fast glauben mag, wenn das Songwriting der Beatles den Shoegaze in seiner heutigen Form bereits zur Verfügung gehabt hätte, hätte man einen solchen Song bereits auf einer der Platten der Liverpooler zu hören bekommen. Im Grunde gibt es fast kein größeres Lob, doch es geht noch weiter: zum Beispiel mit dem unverschämt entschleunigenden und weltfremden "Sailing", das in jeder Sekunde dennoch genügend Energie versprüht, um uns bei Laune zu halten. Oder da wäre "Desire Lines" mit seinem Woho-Chorus, das beweist, dass ein hitverdächtiger Track nicht unbedingt von Eingängigkeit platt gewalzt werden muss, um ein Übersong zu sein. Und definitiv ist "Desire Lines" einer der besten Songs dieses Jahres, da kann man sich festlegen, ohne sich weit aus dem Fenster zu lehnen.

Über der gesamten Platte hängt dieser unbeschreiblich leichte, verträumte, gleichzeitig verzaubernde 'Gesang' Bradford Cox' und "Coronado" meistert dann auch noch die Königsdisziplin der Rockmusik, indem die Herrschaften es schaffen, ein Saxophon gewinnbringend in einen tollen Song einzuweben. Mit "He Would Have Laughed" wird dem verstorbenen Jay Reatard ein posthumes Denkmal gesetzt, das gerade deswegen noch so besonders ist, weil es auf einer der besten Platten 2010 gesetzt wird. Deerhunter schaffen es, 60s Pop, Dream-Pop, Shoegaze und Indierock so zu verweben, dass ein unzerlegbares Ganzes entsteht. Und das haben in diesem Jahr all die Dream-Popper und Shoegazer nicht geschafft. Chapeau!

Andreas Peters

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