Interview

Silversun Pickups


The Boxer Rebellion, Tegan and Sara, Promises! Promises!, Hot Water Music und Silversun Pickups. Leider ist das nicht die Runing Order eines bunten Indierockfestivals, sondern eine Liste von Bands, die am 25.11. allesamt parallel in verschiedenen Hamburger Locations spielten. Ärgerlich sowas. Da mussten wir uns natürlich entscheiden. Und weil sie mit ihrem neuen Album "Swoon" dieses Jahr das überzeugendste Argument geliefert haben, haben die Silversun Pickups das Rennen gemacht. Mit Sänger/Gitarrist Brian und Bassistin Nikki lässt die eine Hälfte der Band in einem winzigen Räumlein mit Kickertisch im zweiten Stock des Knust die Hüllen um das neue Album fallen. Hinter denen findet sich vor allem eins: Skurriles.

Wir haben ja nicht so viel Zeit, also kommen wir gleich einmal zur ersten Frage: Seit eurem ersten Album "Carnavas" sind drei Jahre vergangen, in denen ihr die Welt betourt habt. Gibt es noch andere Gründe, warum es bis zum neuen Album "Swoon" drei Jahre gedauert hat?

Nikki Monninger: Nein, echt nicht. Lass mich überlegen...ich glaube, wir waren mit "Carnavas" zwei ganze Jahre lang auf Tour.

Brian Aubert: Ja, das kommt hin. In Europa könnt ihr euch aber eigentlich gar nicht beschweren, weil "Carnavas" hier erst 2007 erschienen ist. Ihr musstet also nur zwei Jahre warten lacht. Aber in den Staaten ist unsere Band wirklich immer weiter gewachsen. Nach der Veröffentlichung von "Carnavas" war die Nachfrage nach uns so groß, dass wir gar nicht anders konnten, als so lange zu touren. Bei der Tour zu "Swoon" ist es jetzt komisch. Wir sind seit April unterwegs, aber es fühlt sich so an, als wären wir schon doppelt so lange getourt. Es ist alles gerade wirklich intensiv. "Swoon" wollten wir damals nicht übereilt aufnehmen, obwohl wir wussten, dass der Druck da war. Seit dem Release von "Carnavas" hatten wir nur einen einzigen Monat frei und fingen dann gleich wieder an zu schreiben. "Swoon" hat vom Beginn des Schreibeprozesses bis hin zum Mastering ziemlich genau ein Jahr verschlungen.

Diese Sorgfalt kann man hören...für mich ist "Swoon" eines der besten Alben des Jahres 2009. Auffällig ist, dass es dunkeler und auch tiefer klingt als sein Vorgänger. Es funktioniert auch nachts am Besten, wie ich letztens herausgefunden habe.

Brian: Wirklich? Oh, solche Anekdoten lieben wir ja. Ich denke, was du sagst, stimmt. Manche Alben funktionieren besser nachts. Ich merke das auch an anderer Stelle: Ich habe Sommer- und Winterplatten. Die haben dann auch keine Chance, in der jeweils anderen Jahreszeit gespielt zu werden (grinst).

In einem anderen Interview mit euch habe ich gelesen, dass du, Brian, einmal davon gesprochen hast, dass es in den Lyrics von "Swoon" um die Anonymität und Intimität geht, die spürbar wird, wenn man sich in einem Meer aus Menschen verliert. Dominiert dieses Gefühl auf "Swoon" eher in beruhigender oder in beängstigender Art und Weise?

Brian: Hoffentlich beruhigt es. Auf dem ganzen Album strahlen helle, positive Lichter. Würde man einige Songs aus dem Albumfluss entfernen, würden sie natürlich schon ziemlich düster wirken. Aber als gesamtes Werk strahlt "Swoon" durchaus Hoffnung aus. Am Anfang des Schreibens war die noch nicht da, es gab kaum Momente der Leichtigkeit. Die Platte ist für mich jedenfalls ein enorm intimes Stück meiner Selbst - so intim, dass es mich manchmal erschreckt. Als sie gerade erschienen war, konnte ich nicht ehrlich über sie sprechen. Für mich zeigte das Album schon zu viel von mir selbst, das auf einmal für die Menschen sichtbar wurde. Aber zum Glück weiß ja niemand, wovon ich da eigentlich singe. (beide lachen)

Würdest du also sagen, dass Dunkelheit etwas Gutes sein kann?

Brian: Sie selbst nicht. Wenn du sie aber nicht nur wahrnimmst, sondern auch anerkennst, dann ist sie etwas Gutes, absolut. Also nicht als traurige Dunkelheit. Manche Dinge passieren eben einfach. Durch die musst du durch. Es ist schlecht, sich in ihnen zu suhlen. Diese schlechten Dinge zu akzeptieren, um so die frohen Erlebnisse aufzuwerten, das ist etwas Gutes. Leider kann ich dir nicht sagen, wie weit sowas gehen darf, also wie weit man dieses Gewässer – bildlich gesprochen – erkunden darf, bis man schließlich in Gefahr gerät.

Kommen wir mal zum musikalischen Teil des Albums. Auf "Swoon" sind viele Streicher zu hören. Habt ihr die Songs von Anfang an mit dem Wissen im Hinterkopf geschrieben, dass die Streicher in die Songs integriert werden würden?

Brian : Ja, jeder einzelne Streicherteil war schon vorher in meinem Kopf, einige natürlich konkreter als andere. Ein gutes Beispiel ist "The Royal We": Was du da in der Strophe an Streichern hörst – ich möchte es fast Riffs nennen – war von Anfang an da. Bei den Proben und der Vorproduktion war da natürlich Fantasie gefragt. Meistens lief das dann so ab, dass ich bekloppte Affengeräusche ins Mikrofon machte, um den Anderen meine Ideen klarer zu machen, denn sie sind ja nicht in meinem Kopf. Da würden sie sich eh nicht zurecht finden. Jedenfalls sorgte das auch für den ein oder anderen Lacher.

Diese Streicher dann produktionstechnisch angemessen umzusetzen, war sicherlich auch eine Herausforderung für euren Produzenten Dave Cooley, mit dem ihr auch schon euer Debüt aufgenommen habt. Habt ihr denn bei ihm eine Weiterentwicklung bemerkt, als ihr von der Tour zurückgekehrt seid?

Brian: Dave hat einen ungeheuren Schritt nach vorn gemacht. Das haben wir schon bei der Vorproduktion gemerkt. Er saß zum Glück nicht tatenlos rum, als wir auf Tour waren, sondern hat mit anderen Bands wie Darker My Love gearbeitet. Da wir nach Rückkehr von der Tour auch einiges dazu gelernt haben, sind wir uns im Studio dann wieder auf Augenhöhe begegnet. Weil wir uns ohnehin auch richtig gut mit ihm verstanden haben und gerne wieder mit ihm arbeiten wollten, war ein Gefühl der Harmonie von Anfang an da. Auch das hört man auf "Swoon", finde ich.

Als ich "Swoon" das erste Mal hörte und danach erst das Cover sah, fand ich diese Harmonie auch wieder. Das Bild passt. Und auch das ist wieder vom selben Künstler wie bei "Carnavas", nämlich Darren Waterston. Was verbindet ihr mit seiner Kunst?

Brian: Wenn ich dir sage, dass uns diese und einige andere Bilder während des gesamten Schreib- und Aufnahmeprozesses im Bandraum und im Studio begleitet haben, dann kannst du dir schon vorstellen, dass mich seine Kunst fesselt. Wir wussten vorab bereits, dass das Bild "St. Clair" das Cover für "Swoon" darstellen würde; und es hing wirklich die ganze Zeit an der Wand. So gesehen ist das ein recht künstlerischer Ansatz, ein Album zu schreiben. Darren ist auf jeden Fall ein schräger Vogel, aber gleichzeitig jemand, der mir sehr ans Herz gewachsen ist. Er lebt vollkommen in den Tag hinein. Als wir ihm zeigten, welches seiner Bilder wir für "Swoon" verwenden würden, hat er gelacht und gesagt, er könnte sich überhaupt nicht erinnern, dieses Bild einmal gemalt zu haben. Und das geht ihm nicht nur mit diesem Bild so...

Mich erinnert das Artwork ja an ein Unterwasserszenario...

Brian: Das haben wir schon häufiger gehört. Die Leute kommen mit den wildesten Sachen und ich finde das ungeheuer spaßig. Die schrägste Interpretation nimmt sogar noch das Artwork von "Carnavas" mit in die Gleichung. Angeblich würde dessen Cover aussehen wie ein Phallus und das Bild zu "Swoon" könnte man ja durchaus als Vagina betrachten. Aber wer weiß: Vielleicht war das so in unserem Unterbewusstsein und wir haben es tatsächlich deswegen ausgewählt.

Vergessen wird ja in der Rockmusik auch gern mal das Keyboard. Denkt ihr, dass Keyboards dort unterschätzt werden?

Brian: Das ist jetzt schwierig. Vom Standpunkt unserer Band aus sind wir vielleicht gar nicht einmal in der Position, das zu beurteilen, eenn bei den Silversun Pickups hat das Keyboard eine recht spezielle Rolle. Joe ist eher verantwortlich für Sounds, die dem Gesamtklang Tiefe verleihen, als dass er die Songs mit seinen Tasten wirklich tragen würde. Akkorde spielt er auch eher selten.

Um langsam einmal zum Schluss zu kommen: Gerade seid ihr in der Jägermeister Rockliga ins Finale eingezogen. Glückwunsch dazu! Gibt es auf der Tour echt so viel Jägermeister?

Nikki: Oh, hör' mir mit dem Zeug auf. Unser ganzer Tourbus ist voll davon. Das schaffen wir alles gar nicht mehr auf dieser Tour. In den Staaten kennt das Zeug aber auch wirklich jeder. Die Flaschen werden also kaum weggeworfen.

Was haltet ihr denn von diesem Konzept? Und wie hat man sich das Ganze abseits der Bühne vorzustellen?

Brian: Also, falls du jetzt denkst, wir wären auch backstage dauerhaft im Wettbewerb mit den anderen Bands, liegst du falsch. Im Gegenteil: Mit Amusement Parks On Fire sind wir schon seit fünf Jahren befreundet und wie sich herausstellte, sind auch The Films eine wirklich freundliche Band. Diese Jägermeister-Tour bringt etwas, das man im Tourleben oft vermisst: eine Konstante. Denn für ein paar Tage ist man mit denselben Leuten unterwegs, also jetzt einmal abgesehen von unser Band und der Crew natürlich. Von daher halte ich die Rockliga für eine super Sache. Und für die Fans ist es natürlich ebenfalls klasse, weil ihnen die Chance gegeben wird, über den Ausgang zu entscheiden.

Wo du gerade von Fans sprichst, kommen wir zum letzten Punkt des Interviews: Ihr seid ja – wie man hört – auch schwer begeistert, wenn es ums Hören von Musik geht. Gebt doch mal spontan eine Empfehlung für eine super Platte des Jahres 2009 ab!

Nikki: Für mich ganz klar: das neue Album von Phoenix. Unheimlich smart und bei uns im Tourbus auf Dauerrotation. Und es hat sowieso den besten Titel lacht.

Brian: (überlegt kurz). Ich nehme dann "Two Suns" von Bat For Lashes. Gefällt mir sogar noch besser als ihr Debüt und es spielt auch ähnlich wie unser Album viel mit der Dunkelheit.

Tja, und da wären wir schon wieder beim Thema. Dass die Dunkelheit auf "Swoon" Einzug gehalten hat, ist unwiderlegbar. Das Fenster, das Brian beschreibt, es steht noch offen. Wer einen genauen Blick riskiert, wird mit dem Erlebnis einer tiefschürfenden und hochemotionalen Rockplatte belohnt, die mit Nachhaltigkeit trumpft und mit seiner vielschichtigen Produktion Klangräume zum Erforschen eröffnet. Diese Band zeigt, wie es gehen kann: Alle Umstände beibehalten und trotzdem alles besser machen.

Gordon Barnard

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