Rezension

Zugezogen Maskulin

Alle Gegen Alle


Highlights: Uwe & Heiko // Alle Gegen Alle // Vor Adams Zeiten // Steffi Graf // Steine & Draht
Genre: Deutschrap
Sounds Like: Grim104 // Testo // Audio88 & Yassin // Mädness Und Döll // K.I.Z. // Antilopen Gang

VÖ: 20.10.2017

Unglaublich hoch waren die Erwartungen nach „Alles Brennt“, einem Album, das als Statement so absolut und endgültig war, dass es eigentlich überhaupt nicht nach einem Nachfolger verlangen würde. So wartete man also gespannt, was sich Testo und Grim104 von Zugezogen Maskulin einfallen lassen würden. Was sich dann anbahnte, stand nicht unbedingt unter guten Vorzeichen: Zwar konnte der Titeltrack „Alle Gegen Alle“ als Vorabsingle überzeugen, doch ging er mit einer Promo-Kampagne inklusive gesponserten Facebook-Postings einher, limitierten Fan-Boxen und einem neuen Plattenvertrag bei Four Music/Sony. Was ist da los bei Zugezogen Maskulin, einem Duo, das doch gerade für seine scharfe Gesellschafts- und Kapitalismuskritik bekannt ist? Kann man die beiden, die ihr Debüt „Alles Brennt“ für den großen Erfolg so leichtfertig zu entkräften scheinen, überhaupt noch ernst nehmen?

Natürlich stellt sich an dieser Stelle die Frage, ob es für eine Bewertung von „Alle Gegen Alle“ überhaupt relevant ist, in welcher Weise ein Album vermarktet wird und wie es sich um seine Hintergründe verhält, doch gerade bei diesem Album erscheint es aufgrund der Divergenz von vermitteltem Inhalt und der Art seiner Präsentation unumgänglich, dass diese Umstände zumindest Erwähnung finden.

Wenn man genauer hinsieht, ist das alles dann doch gar nicht so einfach, denn natürlich sind sich Zugezogen Maskulin selbst der Problematik bewusst und sind sich darüber im Klaren, dass sie als Teil unserer modernen Welt letztlich auch nach den selben marktwirtschaftlichen Regeln spielen müssen, wenn sie mit ihrer Kunst kommerziell erfolgreich sein wollen. Letztlich dreht sich darum nämlich auch ihr neues Album, dass die vielfältigen Verstrickungen in unserer Gesellschaft sich nicht so einfach lösen lassen und es so schwer ist konstruktiv zu sein, wo doch so viele Probleme im menschlichen Wesen selbst verankert zu sein scheinen. Testo selbst spricht bei „Alles Brennt“ von einem in Albumform gebrachten Ausrufezeichen, wohingegen es sich bei „Alle Gegen Alle“ nicht so klar verhält. Zwar sind die Probleme noch die selben, doch weil Zugezogen Maskulin vermeiden wollen sich zu wiederholen, kommt ein erneutes einfaches Anprangern der Verhältnisse nicht infrage.

Daher besitzt das neue Album der beiden auch nicht die selbe Durchschlagskraft. Selbstironisch fassen sie das im heiter gehaltenen „Nachtbus“ zusammen, in dem es um den „Hass gegen Alle“ geht. Sowohl den alten Freunden aus der Provinz, als auch der harten selbstdarstellerischen Welt Berlins fühlen sie sich nicht wirklich zugehörig, woraus sich eine der zentralen Fragen von „Alle Gegen Alle“ ableitet: Ist überhaupt ein echtes harmonisches Miteinander denkbar oder tut die Gesellschaft selbst nicht vielmehr alles dafür, um genau das zu verhindern? Ist nicht der Mensch selbst sein größter Feind und hat das die Geschichte nicht schon oft genug gezeigt?

So deprimierend der Grundton von „Alle Gegen Alle“ auch sein mag – kann sich daraus als Konsequenz ableiten, das Spiel einfach mitzuspielen? „Es gibt kein richtiges Leben im Falschen“ kann man als Aufruf zu gesellschaftlichem Engagement lesen, genau so aber auch als Ausrede des lethargischen müden Gesellschaftskritikers auslegen, wenn man ja ohnehin nichts ändern kann (eine Haltung, mit der auch der Song „Guccibauch“ vom Vorgängeralbum spielt). Wo positionieren sich also Zugezogen Maskulin? Sehen sie sich selbst als Systemkritiker oder sind sie sich der Systemimmanenz ihrer Kunst längst bewusst? Und zieht man sich mit selbstironischen Unboxing-Videos nicht ein bisschen zu leicht aus der Affäre? In „Steffi Graf“ heißt es parolenhaft: „Das hier ist kein Dada, das hier ist kein Spaß / Zugezogen Maskulin – die Wolken bleiben schwarz!&ldquo>;, aber was genau ist Zugezogen Maskulin denn dann eigentlich?

Wer „Alle Gegen Alle“ komplett gehört hat, wird Zugezogen Maskulin schwerlich reines Kalkül vorwerfen können, denn dafür besitzt auch ihr zweites Album zu viel Herz, zeigt sich offen und ehrlich, zweifelnd und hin- und hergerissen, kritisch ihrem Umfeld und insbesondere der aktuellen Deutschrap-Szene gegenüber, über ihre persönlichen Hintergründe sinnierend und verzweifelt versuchend alles irgendwie unter einen Hut zu bringen. Auch musikalisch ist das neue Album durchweg atmosphärisch dicht und mitreißend, zum Teil mit eingängigeren Hooks versehen, aber in seiner Vielschichtigkeit ähnlich ambitioniert wie der Vorgänger. Fest steht: auch wenn Zugezogen Maskulin selbst nicht so genau wissen, wie es weitergehen soll, so ist „Alle Gegen Alle“ zumindest eine mitreißende Zustandsbeschreibung, die gehört werden sollte.

Kilian Braungart

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