Rezension

The Mars Volta
The Bedlam in Goliath
Highlights: Aberinkula // Metatron // Ilyena // Goliath
Genre: Avantgarde // Prog
Sounds Like: -
VÖ: 25.01.2008

Wenn von kryptischen Konzeptalben die Rede ist, deren erst einmal zu dekodierende Tracklists schon Monate vorher im Netz die Runde machen und Freizeit-Musikwissenschaftler sich bereits dann wie notgeile Pornoseitenuser aufführen und schon mal die Hosen herunter lassen, muss das folgerichtig heissen: Ein neues The-Mars-Volta-Album steht an. Es steht natürlich an, um sich zu messen, zu messen mit dem, was nach allgemein geläufiger Annahme ohnehin einziger Referenzpunkt ist: die ersten drei Platten der Band. Den kritischen Unterton bemerkt? Man sollte sich bezüglich des inzwischen aus acht Musikern bestehenden Kollektivs aus Los Angeles nämlich Folgendes noch einmal vergegenwärtigen: The Mars Volta sind wirklich gut, aber nicht die Götter, als die sie verehrt werden.
Blasphemie? Natürlich wissen wir alle, dass es sich bei The Mars Volta um auf Weltniveau agierende Musiker handelt. Jeder geht hier an seine Grenzen und spielt sich den immer wieder gern zitierten Wolf. Nur: Wenn sich Technik in einer Art in der Musik niederschlägt, dass diese zu Gniedel-Orgien in Überlänge verkommt und das Format Song dabei aus den Augen verloren wird, was hat der Hörer dann davon? Anhänger der Band mögen dagegen halten, dass es sich eben um ein Songwriting handelt, das sich üblichen Schemata bewusst vollends widersetzt und Kritiker der Band einfach hoffnugslos überfordert. Außerdem würden Bands wie The Mars Volta Massenkompatibilität eh nur so sehr schätzen wie den Furz von Nachbars Köter.
Erstmal Dampf abgelassen, wie kann man denn jetzt noch die 3,5 Punkte rechtfertigen? Ganz einfach: The Bedlam in Goliath lässt sich nicht mehr von der gerade angelegten Schablone abpausen. Die Konturen sind schärfer, die Linien klarer und die Farben nicht verwischt - die Stücke haben ein Ende, ein Ziel, eine Pointe, die nicht unbedingt darin besteht, dass Omar Rodriguez Lopez auf jedem Bund seines Sechssaiters in 44 Sekunden mindestens zwei mal einen Ton gefrickelt hat.
Da starten die ineinander fließenden Eröffnungstracks der Platte jeweils mit dem Refrain - als Hörer sagt man da: Dankeschön! „The fault lines you prepare have darkened. Blank rings instead of sight. Goliath are you receiving? Dismembered you've arrived.“ Gestatten: Goliath, inoffizielles neuntes Bandmitglied, zuständig für eine ungewisse Anzahl an Textzeilen und die Erweiterung des Bandkosmos um eine neue Facette des verspulten Wahnsinns. Er sitzt auf der anderen Seite des Hexenbretts, das Omar seinem Busenfreund Cedric einst als Geschenk aus dem Orient anschleppte. Die Kommunikation mit dem Jenseits gab es leider nicht im SSV: Goliath forderte durch das Hexenbrett Tribut, als er diesen nicht bekam, machten plötzlich Bein- und Nervenzusammenbrüche im Bandumfeld die Runde. Man war zwar schockiert, hatte aber das Thema für die nächste Platte gefunden.
Ist Angst das Motiv dieser aus Dunkelheit geborenen Platte? Klingt „The Bedlam In Goliath“ weniger wirr als seine Vorgänger, weil sie aus der Notwendigkeit entstand, sich verbissen an der Realität festzukrallen, um nicht den Rest des Eisbergs freizulegen, dessen Spitze Goliath vielleicht lediglich war? Natürlich ist das relativ zu sehen: The Mars Volta sind immer noch weit davon entfernt, konventionell zu sein. Manchmal immer noch zu weit, wie im zersägten Chaos des nervenden „Askepios“. Die Marschroute gen Greifbarkeit, die diese Platte allerdings vorgibt, ist zu begrüßen. Ironisch, dass dafür ein Geist aus dem Jenseits nötig war, aber beruhigend, dass es eine Instanz gibt, von der sich The Mars Volta etwas sagen lassen. Göttlich ist das freilich nicht.
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