Rezension

The Mars Volta

Amputechture


Highlights: Vicarious Atonement // Viscera Eyes // Day Of The Baphomets
Genre: -
Sounds Like: De Facto // Coheed & Cambria // Ataxia

VÖ: 08.09.2006

Für die meisten Menschen ist Musik ein Hobby, für einige Leidenschaft und für wenige ist Musik Besessenheit. Besessenheit bedeutet immer auf der Suche sein nach neuen Extremen und neuen Grenzen, die es auszuloten gilt. Wie weit darf man gehen? Wo kann man noch ein Element einfügen? Was kann man noch neues erfinden? All das sind Fragen, mit denen sich in den letzten Jahren wohl kaum eine Band eindringlicher beschäftigt hat als The Mars Volta. Für Omar Rodriguez- Lopez und Cedric Bixler Zavala ist Musik nicht bloß Mittel zum Zweck und dafür stehen sie mit ihren Haaren.

„Amputechture“ ist bereits das dritte Studioalbum in vier Jahren und in einigen Interviews spricht die Band bereits wieder vom „alten“ Album. Man arbeite bereits am Nachfolger. Eine Tatsache, bei der man nur ungläubig mit dem Kopf schütteln kann, schließlich ist hier ja nicht die Rede von einer Drei-Akkorde-Skatepunk Band. Im Gegensatz zu „Frances The Mute“ fällt der Neuling zwar verhältnismäßig leichter verdaulich aus, aber was will das bei The Mars Volta schon heißen? Froschquaken ist gestrichen und statt einem 30 Minuten Song gibt es halt dann einen 16 Minuten Song.

Geändert haben sich trotzdem einige Dinge. Zum ersten mal ist die Herangehensweise an den Songwritingprozess eine andere. Zwar hat abermals Omar Rodriguez sämtliche Musik geschrieben (auch die Bläser!) und Cedric Bixler die Texte beigesteuert – der rote Faden, der sich sonst durch die Alben zog, fehlt diesmal aber gänzlich. Also keinen Plot, keine bestimmten Charaktere und keinen direkten Zusammenhang zwischen den Songs. Damit hat sich The Mars Volta auch dem letzten Korsett entledigt. Auch der ständige Line-Up Wechsel innerhalb der Band scheint notwendig zu sein, um den Prozess am Laufen zu halten. Der ausgerechnet von Sparta abgewanderte Pablo Hinojos-Gonzalez heuerte umgehend bei seinen alten Weggefährten an. Damit sicherte man sich nicht nur die At The Drive- In Mehrheit, sondern auch einen neuen Soundmanipulator und Gitarristen. Unmittelbar nach den Aufnahmen zu „Amputechture“ hat es ausgerechnet auch noch Drummingwunder Jon Theodore erwischt. Blake Fleming nimmt seinen Platz ein und tritt damit ein schweres Erbe an.

Trotz oder gerade ob der Personalwechsel bieten The Mars Volta erneut genau das, was man von ihnen erwartet. Musikalisch über jeden Zweifel erhaben, tummeln sich abermals unzählige Ideen abgepackt in acht Songs, die von sphärischen Gradwanderungen („Vicarious Atonement“) über traditionelle Gitarrenmusik („Asilos Magdalena“) bis zu unbestimmbaren Stilmolochen („Tetragrammaton“) die volle Bandbreite des Menschenmöglichen bieten. Es ist auch sicher nicht übertrieben zu behaupten, dass mit „Viscera Eyes“ und „Day Of The Baphomets“ zwei absolute Höhepunkte im Schaffen der Band zu finden sind. Ersterer groovt mit der Macht einer Dampfwalze durch die Gehörgänge, während „Day Of The Baphomets“ die perfekte Symbiose aus komplexen Songstrukturen und eingängigen Melodiepassagen darstellt.

Und dennoch, ein schaler Beigeschmack liegt über „Amputechture“ wie ein drohender Schatten. Gerade weil man als Hörer das Unerwartete erwartet, bleibt die Überraschung aus. The Mars Volta manövrieren sich in eine gefährliche Ecke, in der Dream Theater und Rush warten. Diese leben bereits in einer Welt, die einzig aus Instrumentengewichse und Größenwahnsinn besteht. Der Song an sich bleibt dabei schon lange auf der Strecke. Die Folge sieht so aus, dass man die Platten einmal anhört, über das technische Können staunt und sie dann gleich weglegt. Damit das den Musiknerds aus Texas nicht passiert, muss bald die Kurve gekratzt werden. Dieses mal geht die Sache noch gut, doch auf ein nächstes mal sollte kein Verlass sein. Ein bisschen Living La Vida Loca bitteschön!

Benjamin Köhler

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