Rezension

Sharon Van Etten

Tramp


Highlights: Give Out // Serpents // Magic Chords // I'm Wrong
Genre: Singer/Songwriter // Indie-Folk
Sounds Like: Wye Oak // Little Scream // Marissa Nadler

VÖ: 10.02.2012

Sharon van Etten war schon immer das, was man im Englischen gemeinhin als "a musicians' musician" bezeichnet: eine Künstlerin, deren glühendste Bewunderer sich in der Regel weniger in ihrer zwar loyalen, aber recht überschaubaren Fangemeinde wiederfinden, als vielmehr im Kreis der eigenen Kollegen. Denn kein Geringerer als Kyp Malone von TV On The Radio spornte sie überhaupt erst zu einer Musikerkarriere an; ihr Brooklyner Busenfreund, The-Antlers-Mastermind Peter Silberman, castete sie ohne Umschweife für die Rolle der Sylvia in seinem Kopfkino-Meisterwerk "Hospice" und sogar Everybody's Darling Justin Vernon erwies der schüchternen Singer/Songwriterin schon seinen Respekt, als er bei einem seiner Bon-Iver-Auftritte 2010 ihre herzzerreißende Akkordeon-Ballade "Love More" coverte.

Angesichts der schieren Schar an prominenten Verfechtern, die momentan kollektiv wie die Spatzen von den Dächern über die Pracht ihres neuesten Werks tweeten, überrascht es kaum, dass sich offenbar niemand lange bitten ließ, Sharon van Etten bei den Aufnahmen zu "Tramp" musikalisch unter die Arme zu greifen. Was deutlich mehr verwundert und letztlich auch beeindruckt, ist hingegen, wie das Album trotz eifriger Mitwirkung von Kollaborateuren wie Beiruts Zach Condon, The-Walkmen-Drummer Matt Barrick, Thomas Bartlett von Doveman sowie Julianna Barwick und der weiblichen Hälfte von Wye Oak, Jenn Wasner, immer noch so unverkennbar ihre ganz eigene Handschrift trägt. Denn auch wenn Produzent und Studio-Sponsor Aaron Dessner von The National ihr einen etwas dringlicheren und auch hymnischeren Sound verpasste, als man ihn bislang von ihr gewohnt war und Condons Gastvocals einen in "We Are Fine" und "Magic Chords", zwei wirklich ganz bezaubernden Duetten, unweigerlich aufhorchen lassen, bleiben schonungslos freimütige und somit fast schon unangenehm greifbare Lyrics gepaart mit ihrer unheimlich betörenden, facettenreichen Stimme zweifellos van Ettens wertvollstes Kapital. Und diese sind auf "Tramp" allgegenwärtig wie eh und je.

Verglichen mit den Vorgängeralben "Because I Was In Love" und "Epic" wirkt die selbsternannte Herumtreiberin, die während der gesamten Entstehungsphase ihres Drittwerks bei Freunden oder zur Zwischenmiete wohnte, mittlerweile jedoch um einiges reifer und reflektierter, aber auch forscher und bissiger. Die früher so oft an Folk-Legenden wie Vashti Bunyan erinnernde Verwundbarkeit und Fragilität ihrer Musik ist einem neuen Selbstvertrauen gewichen, das ihr ermöglicht hat, bislang unerforschtes Terrain zu betreten, ohne dabei auch nur einen Funken ihrer emotionalen Wucht einzubüßen. Dieser Aufbruch in neue musikalische Gefilde ist zweifellos ihrem monatelangen Vagabunden-Dasein geschuldet – einer Erfahrung, die sie ganz offensichtlich auch musikalisch lehrte, sich überall, selbst in etwas komplexeren Klanggewässern, heimisch zu fühlen. Denn ob nun Zähne fletschend ("Serpents"), aufreizend bedächtig ("Kevin's"), rhythmisch verspielt ("Leonard") oder sonor dröhnend ("I'm Wrong") – Sharon van Etten hat nicht nur die Vorzüge von verzerrten Gitarren und einer mehrköpfigen Begleitband zu schätzen gelernt. Sie weiß auch immer noch ganz genau, wann weniger mehr ist.

Paulina Banaszek

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