Rezension
Dredg
The Pariah, The Parrot, The Delusion
Highlights: Down To The Cellar // Information // Ireland // Saviour
Genre: Alternative Rock // Art Rock // Nu Rock // Pop
Sounds Like: Portugal. The Man // Aereogramme // Clann Zú // Hoobastank // A-Ha
VÖ: 29.05.2009
23 Minuten. Nach den offiziellen Richtlinien der deutschen Album-Charts ist dies die Mindestlänge für einen Tonträger, um als Album zu gelten. Mehr als fünf Tracks muss die Platte außerdem besitzen. Für Dredg war es bislang aber nie ein Problem, diese Marken zu überschreiten. Spielend, möchte man meinen, komponierte das Quartett um Gavin Hayes komplexe und dichte Werke wie „Leitmotif“ und „El Cielo“, die zu den ganz großen Alben der jüngeren Geschichte des progressiven Rocks gehören. Die offizielle Regelung „23 Minuten, 5 Tracks“ gilt auch beim Release von „The Pariah, The Parrot, The Delusion“ nach wie vor, dennoch steht das Modell „Album“ auf der Kippe – zumindest die Rahmenbedingungen haben sich sehr verändert. Der globale Informationsfluss ist zu einem reißenden Strom geworden: Live-Videos finden sich Stunden nach dem Konzertende auf Youtube, Bands bloggen und twittern um die Wette, Leaks geistern Wochen vor dem offiziellen Release durch einschlägige Internetseiten. Die Erwartungen steigen durch die Appetizer ins Unermessliche, doch das als letztes veröffentlichte Album verliert als Gesamtwerk zunehmend an Bedeutung. Dredgs jüngste Platte ist das beste Beispiel hierfür. Bei iTunes konnten bereits im Vorfeld einzelne Songs heruntergeladen werden, „Saviour“ gab es für alle Fans kostenlos, „Information“ wurde samt Video als offizielle erste Single ausgekoppelt. Man mag dies als Zugeständnis an das digitale Zeitalter verstehen, doch beim ersten Hören macht sich das Gefühl breit, alles bereits zu kennen. Der Gedanke „Nett. Nächstes, bitte!“, kommt auf.
Doch nicht nur die Veröffentlichungspolitik dürfte hierfür verantwortlich sein. Das Album präsentiert sich als sehr geradlinig produzierte Platte, die zwar manch nette Idee bereit hält, an vielen Stellen aber bedenklich in Richtung Pop abdriftet. Die Hardcore-Vergangenheit? Passé. Wer beim Gedanken an den seichten Vorgänger „Catch Without Arms“ Magenschmerzen bekommt, der sollte um „The Pariah, The Parrot, The Delusion“ einen weiten Bogen machen. Die Lyrics der Band waren nie sonderlich komplex, nun erklimmen jedoch auch die Melodien – eigentlich seit jeher eine Stärke der Kalifornier – eine unbekannte Dimension des Kitsches. „Quotes“ erinnert frappierend an „The Reason“ der Pop-Rocker von Hoobastank. In „Gathering Pebbles“ ist Hayes' bemerkenswerter Stimme ein so schlichter Part vergönnt, dass man auch einen der Backstreet Boys hätte singen lassen können. Weitere Negativ-Beispiele bilden „Cartoon Showroom“ (Alphaville? A-Ha?) und „Lightswitch“. Verantwortlich hierfür sind neben den Melodien vor allem die Arrangements. Was man auf „Catch Without Arms“ als sehr vollen und kompletten Sound akzeptierte, wirkt nun schlicht überladen: Glockenspiele, Cembalo, Orgeln, Chöre, Streicher. Dies mag sich spannend anhören – wobei es im Dredg-Universum nichts Neues ist – aber es fehlt der harte Gegenpart der Frühwerke. Außer bei dem Kracher „Saviour“ gibt es keine knallenden Riffs mehr. Alle Ecken und Kanten wurden aus den Stücken ausgebügelt. Die für Dredg typische Slide-Gitarre verstaubt meist im Schrank.
Wird sie von dort hervorgeholt, zeigt die Band jedoch, dass sie ihr Handwerk nicht verlernt hat. Die Songs „Ireland“ und „Information“ sind auf den Punkt komponiert und dürften neben dem gemeinen Radio-Hörer („Radio - Geht ins Ohr, bleibt im Kopf“) auch dem Gros der eingefleischten Dredg-Fans gefallen. Hier kommen starke Melodien, die Slide-Gitarre und ein guter Songaufbau zusammen und Gavin Hayes darf klingen wie Gavin Hayes – will heißen: gut. Selbst die poppige Produktion kann diesen Songs nichts anhaben. „Down To The Cellar“ ist ein zeitlos schönes Instrumental und „Stamp of Origin – Horizon“ einer der besten Closer der letzten Jahre. Besonders die vielen kurzen Soundschnipsel, die meist nicht länger als eine Minute sind, eröffnen dem Hörer jede Menge Ideen des dredg'schen Soundkosmos. In „Drunk Slide“ beispielsweise trifft ein Xylophon auf einen spannenden Beat und merkwürdige Computergeräusche im Hintergrund. „Long Days And Vague Clues“ ist ein wunderbar verschrobenes Intermezzo mit Streichern, Xylophon und treibendem Schlagzeug, das klingt, als hätte Mike Patton eine Verfolgungsjagd vertonen wollen. Schade, dass viele dieser Ideen nicht fortgesponnen wurden. Im Gegensatz zu den poppigen längeren Songs klingen die Schnipsel wie Fremdkörper, wie eine Reminiszenz an spannendere Tage.
Bleibt das unbefriedigende Gefühl, dass das vorliegende Album nach massenkompatiblen Songwriting- und Produktionsaspekten nicht viel verkehrt macht, dass die Band jedoch ihr Potential und vor allem ihre musikalische Bandbreite keinesfalls ausschöpft. Vielleicht ist es nur ein Versuch, vielleicht will man ein wenig Geld mit der Musik machen, vielleicht ist es auch der Tatsache geschuldet, dass man inzwischen 16 Jahre lang zusammen musiziert und so gar keine Lust mehr auf schrammelige Riffs hat. Trotz aller Bedenken: Die Melodien bleiben hängen. Alten Fans wird das nicht schmecken, dafür wird Dredg jede Menge neue hinzugewinnen – die Album-Charts rufen!
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Rezension zu "Catch Without Arms" (2005)
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