Interview

Thees Uhlmann


Thees Uhlmann kann schreiben: gute Songs schon lange und gute Prosa auch, wie er mit seiner Romanvorlage "Sophia, der Tod und ich", die vergangenen Herbst erschienen ist, gezeigt hat. Nun ist er nicht mit Gitarre, sondern mit dem Buch bewaffnet und mit unendlich vielen Geschichten darin und darum unterwegs auf Lesetour. "Gesabbel" nennt er das selbst, was er da tut. Wir haben ihn bei seinem Zwischenhalt in Bielefeld getroffen, Filzstifte gegen Wein eingetauscht, über sein Buch und vor allem sein eigenes Leben gesprochen.

Thees Uhlmann. Lieblingsessen: Senfeier. Lieblingsfarbe: Grün. Hobby: über skurrile Hobbys anderer lesen. Lieblingsbeschäftigung: Astro-TV gucken. Schwäche: nichts wegwerfen können. Thees Uhlmann ist ein unglaublich sympathischer Mensch. Wer nicht mit ihm lachen kann, dem ist wahrscheinlich auch nicht mehr zu helfen. Kein Wunder, dass der ganze bestuhlte Saal des Ringlokschuppens immer wieder in herzliches Gelächter ausbricht, während Thees Geschichten aus seinem Leben erzählt. Vom Fußball und betrunken durch die fremde Stadt irren zum Beispiel. Oder davon, wie es ihm beim Schreiben ergangen ist und er sich immer wieder über sich selbst lustig macht. Nebenbei liest er auch ein paar Passagen aus seinem Roman vor. Aber nicht sachlich, wie es sich vielleicht bei einem Roman über den Tod gehören würde, sondern umwerfend komisch. Wenn Thees erzählt, dann verstellt er seine Stimme, verändert die Melodie und die Lautstärke. Ein geborener Geschichtenerzähler eben, darum ist es auch so schön, ihm zuzuhören.


Photo Credit: Elisabeth Moch

Ein eher langweiliger Typ ist der namenlose Protagonist in Thees' Debütroman "Sophia, der Tod und ich". Er bekommt durch einen blöden Zufall in seinem Restleben nochmal die Chance, ein paar wichtige Dinge zu erledigen, bevor er dann tatsächlich mit dem Tod mitgehen muss. Da stellt sich doch die Frage, ob wir im Leben oft erst den Wert der Dinge erkennen, wenn es schon fast zu spät ist? "Das ist bei mir auf gar keinen Fall so! Ich freu mich so sehr über viele Dinge, dass manche Leute in meinem Umfeld schon genervt sind. Letztens meinte Tim Jürgens, der großartige Bassist von Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen, zu mir, der übrigens immer ein wenig pessimistisch und motzig ist: 'Thees, du freust dich nicht einfach nur, du drehst jedes Mal durch!' und das stimmt vielleicht, aber ich freu mich einfach gern! Auch, weil ich so lange dafür gekämpft habe, dass ich so ein Leben führen kann! Ich meine, ich habe jetzt endlich einen sicheren Job für die nächsten 5-6 Jahre! Wie irre ist das denn?!", sagt Thees, während er übers ganze Gesicht strahlt und noch einen Schluck Wein trinkt und danach an seiner Zigarette zieht.

Nochmal zum Hauptdarsteller im Buch. Der ist ein ziemlich schlecht gelaunter Typ, der auch noch verdammt tollpatschig ist. Wenn Thees diesem Typen im echten Leben begegnen würde, fände er ihn eigentlich sympathisch? "Total! Ich finde so Freaks immer total sympathisch! Außerdem verstehe ich den natürlich total! Ich wollte in meinem ersten Buch keine Person erfinden, mit der ich überhaupt nichts zu tun habe, und die ich blöd finde. In allen Personen im Buch sind Sachen, die ich absolut nachvollziehen kann, die Teile von mir sind." Die Beschreibung im Buch lässt darauf deuten, dass dieser Typ zu allem Übel auch noch eine ziemlich geschmacklose Inneneinrichtung hat. "Dass die geschmacklos ist, ist dem ziemlich egal! Er geht ja nicht davon aus, dass jemand vorbei kommt! Da muss ich gerade an einen Freund von mir denken, dessen Wohnung ich absolut geil finde. Als ich ihm das gesagt habe, meinte er: 'Thees, das ist doch nicht mein Werk, das ist das Werk von vielen verschiedenen Frauen!' Seine jeweiligen Exfreundinnen hatten immer mal wieder einen Schrank, eine Lampe, ein Sofa gekauft, und so ist die Wohnung schön geworden! Wie es bei mir aussieht, das interessiert auch keine Sau. Aber was mir wichtig ist, sind auch solche Erinnerungsstücke. Er hat ja die Lampe aus seinem Kinderzimmer bei sich hängen. Ich bin wahnsinnig schlecht im Wegschmeißen, und halte auch so an Dingen fest. In 20 Jahren kann ich 'Das große Objektbuch' schreiben. Mein Leben erklärt anhand von Zetteln und Dingen, die ich nicht wegwerfen konnte!"


Photo Credit: Elisabeth Moch

Erstmal soll Thees sich allerdings eine Kurzgeschichte ausdenken. Dazu habe ich Story-Cubes mitgebracht. Würfel, mit Motiven, die zum Geschichtenausdenken einladen. Was hat Thees gewürfelt? "Schlägerei, Schlüssel, Axt! Puh... Ok. Enrico verbrachte einen großen Abend nach einem Arminia-Bielefeld-Heimsieg in der Szenekneipe Die Zwiebel. Danach wollte er noch ins Rockcafé, mit seinem Freund Philipp. Er verlor Philipp aber auf dem Weg, weil er sich mit einer Grundschulbekanntschaft an einem Stromkasten unterhielt. Er rief Philipp an und fragte: 'Wo bist du?'. Er sagte: 'Ich bin im Taxi!' – 'Und wohin fährst du?' – 'Das weiß ich doch nicht!'. Im Rockcafé stellten sie fest, dass Enrico den Schlüssel zu seiner Wohnung verloren hatte. Sie gingen zum Bauhaus, schlugen die Scheibe ein, waren sich jetzt schon bewusst, dass sie von Überwachungskameras gefilmt wurden. Es war ihnen egal. Sie klauten ein Beil und öffneten damit Enricos Tür und schliefen, in dem Wissen, dass zwei Männer in Bielefeld wieder etwas Großes geleistet hatten, glücklich ein. Am nächsten Morgen klingelte die Polizei. Ende." – "Und dann kommt die Schlägerei?" Thees lacht: "Oh, vergessen! Sie prügelten sich mit den Polizisten und lächelten sich an, als sie auf dem Boden lagen, während ihre Hände auf dem Rücken mit Plastikfesseln fixiert wurden." Thees Uhlmanns neue Kurzgeschichte, meine Damen und Herren! Wie viel Wahrheit steckt denn darin? "Das Einzige, was wahr ist, ist, dass wir tatsächlich mal bei einem Kumpel in Bielefeld waren und der ist dann ahnungslos mit dem Taxi durch die Gegend gefahren. Die übrigen Dinge würde ich natürlich nie tun! Nein, nein, nein!!"

Verrückte Dinge würde dagegen der Tod im Buch jederzeit tun. Er ist zum ersten Mal für längere Zeit unter den Lebenden und lernt sozusagen unser Leben kennen, mit vielen erstaunlichen Aha-Momenten, über die wir uns im Alltag gar keine Gedanken mehr machen würden. Wie ist Thees auf diese Details gekommen? Geht er selbst mit solch offenen Augen durchs Leben? "Ich glaube, viele Künstler haben diesen leicht veränderten Blick auf die Welt. Das ist eine Sucht nach einer lyrischen Schönheit in allen Dingen. Bei jedem Gang durch die Gegend gibt es etwas zu entdecken. Außerdem ist da natürlich der Blick meiner Tochter auf die Welt, die ja auch ganz viele Dinge zum ersten Mal tut und bei der ich das miterleben darf. Neulich fragte sie mich: 'Papa, hast du eigentlich ein Geheimnis?' und ich habe erstaunt festgestellt, dass ich momentan gar keine Geheimnisse habe. Aber sie hat gerade das Phänomen Geheimnisse für sich entdeckt, ist das nicht was Faszinierendes?" Von seiner Tochter spricht Thees ohnehin in besten Tönen und findet so ziemlich alles, was sie tut, großartig. "Letztens sagte sie zu mir: 'Papa, wenn ich aufhöre zu reden, redet mein Gehirn einfach weiter!' Die Entdeckung des eigenen Geistes! Ist das nicht faszinierend?" So ist es auch kein Wunder, dass er, als er meine neuen Malstifte entdeckt, direkt an seine Tochter denkt, die mit denen bestimmt viel Spaß hätte. Darum schlägt er mir ein Tauschgeschäft vor: "Die Stifte gegen zwei Flaschen Wein?" Den Deal gehe ich gerne ein, zumal es Thees-Uhlmann-Wein ist, eigens für ihn abgefüllt und beim Merch auf der Lesetour zu erwerben. T-Shirts hat jeder, Thees Uhlmann hat Wein.

Wo wir gerade bei Eltern-Kind-Beziehungen sind – die nehmen auch einen wesentlichen Anteil im Buch ein. Zum einen die gestörte, aber doch liebevolle Beziehung zwischen dem Protagonisten und seiner Mutter, zum anderen die schönen Erinnerungen, die er mit seinem verstorbenen Vater verbindet. Sind diese Geschichten irgendwie aus Thees' eigenen Erfahrungen mit seinen Eltern begründet? "Nein, da ist tatsächlich viel erfunden! Aber natürlich habe ich, wie jeder, auch prägende Geschichten mit meinem Vater erlebt. Zum Beispiel, als ich so sechs Jahre alt war, waren wir in Hamburg unterwegs, in der Mönckebergstraße. Da gab es einen Brunnen, vor dem sich immer die HSV-Fans warm gesoffen haben. Diesmal hingen da so Punks rum. Ich fragte meinen Vater, was das für Leute sind, und er sagte: 'Das sind Punks!' Da habe ich ihn gefragt, was er machen würde, wenn ich auch ein Punk werden würde. Er sagte dann, das würde er nicht gut finden, aber ich würde sein Sohn bleiben!", sagt Thees und lacht laut bei der Erinnerung daran, vor allem, weil er ja später tatsächlich mal ein wenig Punk geworden ist.


Photo Credit: Elisabeth Moch

Die letzte Frage im Interviewbuch, bei dem jeder Künstler dem nächsten eine Frage aufschreibt, kommt von Romano, dem "Hip-Hopper aus Köpenick", wie Thees sagt. Der fragte: "Du bist zu einem Treffen verabredet und gerätst in eine okkulte Messe. Wie kommst du da wieder raus?" Thees zeigt sich mutig: "Wenn ich wirklich in so abgedrehte Dinge rein geraten würde, würde ich den Leuten sagen, wie beknackt ich das finde! Ich würde denen sagen: 'Leute, euch geht es viel zu gut! Jetzt fangt ihr auch noch an, den Satan anzubeten!', obwohl ich kenn mich natürlich damit aus, weiß, dass es nicht darum geht, das Böse anzubeten, sondern um das Hedonistische... ich bin ja schließlich Heavy-Metal-Fan und habe jede Dokumentation darüber gesehen, die es gibt. Ich liebe ja als Heavy-Metal-Fan auch Romanos Song 'Metalkutte' sehr! Jedenfalls würde ich einfach gehen. Und zwei kommen wahrscheinlich auch mit, weil die gemerkt haben, was für ein Quatsch das gerade ist." Wenn es ein inszeniertes Rollenspiel wäre, in das er da rein geraten ist, fände er es aber wiederum spannend. Denn über Menschen, die extremen Hobbys nachgehen und die ganze Woche über ihren großen Auftritt am Wochenende vorbereiten, erfährt Thees gerne mehr. Das tut er, indem er seine Zeit im Zeitschriftenhandel verbringt und da alle Magazine liest, die skurrile Dinge berichten. Zum Beispiel darüber, welcher Köder der richtige ist, um den Karpfen anzulocken. "Ich finde es wahnsinnig interessant, in die Leben von anderen Menschen rein zu gucken und von Dingen zu erfahren, die absolut nichts mit meinem Leben zu tun haben", sagt er dazu. Auf die Frage, ob Thees denn selber ein skurriles Hobby hat, schießt er raus: "Astro-TV gucken! Ich bin die ganze Zeit am überlegen, ob ich nicht einfach mal zur Polizei latsche und eine Anzeige erstatte, gegen Astro-TV. Da wird so doll mit Ängsten und Hoffnungen von zu 95% Frauen über 55 gespielt, dass ich mich frage, ob das kriminell ist... aber es ist auch interessant, ich frage mich immer, ob die das ernst meinen, oder sich schlapp lachen darüber. Aber ich bin kein Trash-TV-Gucker, nicht, dass da ein falscher Eindruck entsteht!!", sagt er und muss selbst über sich lachen.

Was will denn Thees von der nächsten Person wissen? "Lieber Interviewte / liebe Interviewte, warum bist du Künstler / Künstlerin geworden? Hast du Angst? Geht es dir gut?" Kann Thees diese Fragen selbst beantworten? "Ich weiß nicht. Nein. Ja." sagt er und lacht.

Marlena Julia Dorniak

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