Interview

Broken Records


Schottland und kein Ende: Mit Broken Records und ihrem Frontmann Jamie Sutherland haben wir eine weitere Band vor das Mikro gezerrt, die den Heimatdiskurs auch auf ihrem aktuellen Album "Let Me Come Home" aufgreift. Prägt dieses Thema ebenso Jamies pathetischen Gesangsstil – oder ist er das überhaupt? Lest das Interview!

Hey Jamie! Schön, dich zu sehen. Euer letzter Hamburg-Auftritt fand ja in dieser merkwürdigen „O2 World On Tour“ statt und da wart ihr auch noch zu siebt.

Jamie Sutherland: Stimmt, nun sind wir sechs. David hat die Band bereits letzten Juni verlassen – das hatte er schon im Dezember 2009 angekündigt, er wollte aber warten, bis wir einen Ersatz gefunden haben. Unser ehemaliger Cellist Arne ist zu seiner Freundin nach München gezogen, weil er keine Lust mehr auf Fernbeziehung hatte und seine Anwaltskarriere weiter verfolgen wollte. Das ändert aber nichts daran, dass David und Arne uns noch fast so nahe stehen wie Familienmitglieder – so klischeehaft das auch klingt.

Euer Plan war es ja einmal, dass euer Livesound so „groß“ wie möglich ist. Da ist es ja eher kontraproduktiv, wenn die Band kleiner wird?

Jamie: Ja, aber solche Pläne ändern sich ja auch. Ich mag immer noch lärmigen Sound, aber versuche jetzt häufiger, ihn zu verfeinern und prägnanter zu machen. Wenn wir dann mal in größeren Locations spielen, können wir immer noch mehr Elemente hinzufügen – bei einer Show in Edinburgh hatten wir vor einer Weile die ganze Zeit drei Gitarren, das war spaßig.

Euer neues Album heißt ja „Let Me Come Home“, der Vorgänger enthielt bereits den Song „Nearly Home“. Das scheint ja ein wichtiges Thema für euch zu sein.

Jamie: (lacht) Ja. Die Grundbausteine für die meisten Lyrics wurden letzten Februar gelegt, der eine sehr stressige Zeit für mich war. Dieser rote Faden ist mir dann erst während der eigentlichen Aufnahmen aufgefallen.

Beruhte dieser Wunsch nach einem sicheren Hafen denn mehr auf persönlichen Erlebnissen oder universelleren Ereignissen?

Jamie: Also, unsere erste Platte lief ja ziemlich gut, es gab selbst für britische Verhältnisse einen ziemlichen Hype um uns. Wie so häufig gab es dann aber, nachdem die Platte endgültig erschienen war, einen Trend in die entgegengesetzte Richtung, auch gerade aus dem Indie-Lager. Das ist nun wieder Vergangenheit, aber da gerät man leicht in eine Position, in der man sich fragt, ob man weiterhin Lust auf so etwas hat. Auch wenn ich es liebe, Musik zu machen, scheinen manche Leute, die Musik, die man macht, schon irgendwie als wertlos zu betrachten – nicht nur in finanzieller Hinsicht, Stichwort Downloads – und das tue ich absolut nicht. Man bringt ja durchaus Opfer auf, wenn man in einer Band ist, beispielsweise ist es schwierig, feste Beziehungen einzugehen, und so etwas verdirbt einem die Musik hin und wieder schon. Das hat wohl auch die Lyrics beeinflusst. Man muss sich schon entscheiden, was man eigentlich als Musiker will – Erfolg, klar, aber welcher Art? Die Rockstar-Art? Die Erfahrung wäre bestimmt interessant, aber wir wollen jeglichen Erfolg, den wir haben, auch noch mit unseren Privatleben balancieren können.

Diese Frage an sich selbst, was man wirklich will, findet sich für mich darin wieder, dass das Album mit einem „Leaving Song“ anfängt und mit „Home“ endet. Wie beabsichtigt war das?

Jamie: Wie gesagt, wie sehr manche Songs zusammenpassen, fiel mir erst beim Mastern auf, davor war es mir höchstens unterschwellig bewusst. Die Idee, „Home“ ans Ende zu stellen, kam Rory – meinem Bruder und unserem Gitarristen –, darauf wäre ich nicht gekommen. Der Song fasst aber wirklich viele der Inhalte des Albums zusammen, aber das haben wie gesagt die anderen in der Band gesehen. Manchmal versteht man selber am schlechtesten, was man eigentlich gerade tut.

Wie subjektiv sind deine Texte denn? Man denkt ja insbesondere aufgrund deines Gesangsstils gerne, dass du ein sehr emotionaler Mensch sein musst.

Jamie: Komplett subjektiv sind sie nicht, oft schnappt man ja auch auf, was um einen herum passiert. Viele meiner Freunde sind in kurzen Abständen arbeitslos geworden – auch ich habe meinen Job im Plattenladen nicht mehr und muss mir erst einmal einen neuen suchen, sobald die Tour um ist. Mit meinem Gesang scheint es wie Marmite zu sein – man mag es oder man hasst es. Bands wie Grizzly Bear zum Beispiel mag ich sehr, aber sie berühren mich nicht wirklich – ihre Musik ist sehr clever und kopflastig. Meine liebsten Künstler sind aber jene, die von ihren Themen wirklich berührt werden, wie Nirvana oder Springsteen. Auch bei der neuen Platte von Titus Andronicus kann ich richtig hören, wie sehr den Sänger seine Themen beschäftigen. Pavement zum Beispiel, die mir eigentlich nichts mitteilen wollen, gehen vergleichsweise eher an mir vorbei.

Gerade wenn man so viel Emotionen in seine Songs steckt, wird aber gerne das Wort „Pathos“ verwendet.

Jamie: Das stimmt, manchen Leuten ist das zu aufdringlich, aber im Endeffekt spielt man seine Musik und hofft, Menschen zu finden, denen sie gefällt. Wir haben zum Beispiel kürzlich eine kleine Tour mit The National gespielt, und Matt Berninger hat ja auch einen sehr eigenen Gesangsstil. Manche sagen, er habe eine sehr langweilige Stimme, weil er eigentlich mehr redet als singt. Diesen Stil hat er aber schon seit zehn Jahren, ohne dass die Band zuvor jemals so positive Reaktionen bekommen hätte, und erst jetzt haben die Leute gemerkt, wie fantastisch Matt eigentlich ist. Das kann manchmal etwas dauern. Bands bewegen sich nicht auf den Mainstream zu, sondern umgekehrt.

Im Idealfall.

Jamie: Klar, Kings Of Leon haben zum Beispiel schon bewusst versucht, ein größeres Publikum zu ziehen und hatten damit Erfolg. Das muss man auch respektieren. Insbesondere in Schottland haben wir aber schon eine andere Einstellung, was Ruhm angeht – Erfolg heißt für mich, mit der Musik meine Miete bezahlen zu können. Alles andere ist ein Bonus und bedeutet außerdem meistens, aus Schottland weg und nach London ziehen zu müssen, wo nun einmal alles passiert – das ist ja nicht nur in der Musik so, sondern auch in Architektur und Kunst. Aus diesem Grund mögen Schotten erfolgreiche Landsmänner vielleicht auch nicht. Bands wie Frightened Rabbit, Twilight Sad und We Were Promised Jetpacks dagegen haben eine sehr starke Heimatbindung, und trotzdem machen sie sich jenseits von Schottland gut. Das ist schön. Uns wiederum tut es sowieso gut, in Edinburgh zu bleiben, wo viele Leute es gut mit uns meinen und uns unterstützen.

Ein anderes Thema: Du meintest einmal, dass deine Alben so „cinematisch“ wie möglich sein sollen und „Until The Earth Begins To Part“ euer „Apocalypse Now“ wäre. Was ist dann „Let Me Come Home“?

Jamie: (lacht) Zum Begriff „cinematisch“: Weißt du, das wollten wir bei „Let Me Come Home“ auch – cinematisch und „Breitbild“ klingen –, aber dabei etwas besonnener zu Werke gehen und große Themen eher aus der kleinen Perspektive betrachten. Daher würde ich vielleicht „Rumble Fish“ sagen, der das auch tut und der auch seine Schönheitsfehler hat, was ihn für mich sehr sympathisch macht. Da geht es ja quasi auch vorrangig darum, erwachsen zu werden und sich von dem fort zu bewegen, was man kennt. In „Rumble Fish“ sind es auch mehr die kleinen Details, die sich in meinem Unterbewusstsein festgekrallt haben.

Dann danke ich für das Interview und bin gespannt, was für eine cinematische Richtung ihr in Zukunft einschlagen werdet!

Jamie: Mal sehen. Gerade steh ich, was Filme angeht, sehr auf die 70er.

Photo by Chris Park

Jan Martens

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Rezension zu "Let Me Come Home" (2010)
Rezension zu "Until The Earth Begins To Part" (2009)

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