Interview

Boy Omega


Martin Hasselgren, aka Boy Omega, ist kein Comedian. Sagt er jedenfalls. Auf der Bühne erzählt er dann aber Witze, geht in absurd-komische Interaktion mit seinem Mitmusiker Per-Ola und hat sichtlich Spaß daran, im Rampenlicht zu stehen. Vor ein paar Jahren war das allerdings noch nicht der Fall, so erzählt er uns im Interview.

Martin: Ich kenne den Namen "éclat". Hattet ihr vielleicht eine Rezension von einem Album von mir?

Ja, wir haben sogar zwei. Aber ich hoffe, du bist nicht enttäuscht, wenn du sie liest. Wir haben ein Bewertungssystem von 0-5 und...

Martin: … und beide haben 0 Punkte bekommen! (lacht)

Nein, haben sie nicht. Ich habe dein letztes Album "Night Vision" rezensiert und ihm 3 von 5 Punkten gegeben. Ich mag die Musik auf der Platte, aber wenn du live spielst, sind die Songs viel wirkungsvoller, reißen mit. Die Platte schien mir etwas zu sauber produziert. Sie war ja auch die erste, die du professionell produziert hast...

Martin: Ja, das stimmt!

Martin lacht und deutet zur anderen Seite des Backstage-Raums, wo Per-Ola Eriksson, Mitmusiker und langjähriger Freund von Martin, sitzt. Es stellt sich heraus, dass er das Album produziert hat und damit für diesen "sauberen" Sound verantwortlich ist. Glücklicherweise können aber alle über das Fettnäpfchen lachen und Per-Ola gesellt sich sogar zu uns zum Interview.

Martin: Es ist gut zu wissen, wie das Album auf andere wirkt. Ich finde auch, dass "Night Vision" nicht mein bestes Album ist. Nicht wegen Per-Ola (lacht)... aber ich mag "The Ghost That Broke In Half" am liebsten, das Album, das 2009 heraus kam und das anscheinend allen anderen ziemlich egal ist (lacht). Es klingt ziemlich roh, ich hab die meisten Stücke dafür zuhause aufgenommen. Es ist schade, dass fast keine Reviews darüber geschrieben wurden und ihm kaum jemand Beachtung geschenkt hat, denn ich bin mit dem Album sehr zufrieden. Wir nehmen zur Zeit auch wieder neue Songs auf. Die meisten sind im Studio aufgenommen...

Per-Ola: Du wirst sie also wahrscheinlich nicht mögen (lacht).

Martin: Sie werden aber sehr akustisch, ohne elektrische Gitarren. Wahrscheinlich werden auch wieder Streicher dabei sein. Per-Olas Freundin hat früher Geige für Boy Omega gespielt. Per-Ola, du musst ihnen erzählen, wie du Karin kennen gelernt hast! (grinst zufrieden)

Per-Ola: Wir haben uns getroffen, weil wir beide bei Boy Omega gespielt haben! Nun sind wir schon fast seit acht Jahren zusammen.

Martin: Ja, es ist eine echte Love-Story! Ich weiß gar nicht, welcher der letzte meiner Songs war, bei dem Karin mitgespielt hat...

Du erinnerst dich also nicht mehr an jeden einzelnen deiner Songs. Ich stelle mir das auch schwierig vor. Wie viele Lieder hast du denn in deinem Leben schon geschrieben?

Martin: Ich habe keine Ahnung, ziemlich viele. Ich schreibe ja seit Jahren Songs für Boy Omega und nun schreibe ich Songs für meine neue Band, die "Tu Howl" heißt. Was an "to howl", wie das Heulen des Wolfes, angelehnt ist. Aber wir haben aus den beiden "o"s ein "u" gemacht, weil wir fanden, dass das ästhetischer aussieht.

Du hast in so vielen Bands und mit so unterschiedlichen Einflüssen gespielt. Schon als Kind hast du mit deinem Bruder in Bands wie Död, Alice Brun und Morning Penguin Musik gemacht...

Martin: Alice Brun! (lacht) Damals war ich sieben oder acht Jahre alt! Aber wir haben tatsächlich unsere Songs auf Tape aufgenommen. Ein Song handelte von dem kleinen Ort Fredriksdal, in der Nähe von Eksjö, wo wir herkommen. Weil es in diesem Ort so langweilig war, haben wir einen Song erfunden, in dem die Leute von den Bäumen pinkeln, weil sie sonst nichts zu tun haben (lacht).

Hast du die Tapes immer noch?

Martin: Wir haben nur 4 oder 5 Kopien der Tapes gemacht, aber ich habe keine mehr. Ich habe letztens aber ein paar Sachen aus meiner Schulzeit durchgeschaut und in einem selbst genähten Mäppchen Tickets für das Konzert meiner Band "The Boys" gefunden. Als ich 12 war, hatte ich diese Band mit zwei Freunden. Auf den Tickets stand: "Super Konzert mit der super Gruppe The Boys! 5 Kronen Eintritt!". Wir haben ein paar Songs auf Tape aufgenommen und haben versucht, wie Depeche Mode oder The Cure zu klingen. Aber wir konnten unsere Instrumente noch nicht richtig spielen. Ein guter Freund von mir wollte unbedingt auch dabei sein, hatte aber kein Instrument. Seine Aufgabe war es am Anfang der Songs, Papier zu zerreißen und damit Geräusche zu machen.

Wie kam es, dass du, nach so vielen unterschiedlichen Einflüssen, schließlich zu der Musik gekommen bist, die du seit einigen Jahren mit Boy Omega machst?

Martin: Ich habe in einer Band, die sich "Labrador" nannte, gespielt. Das war meine erste "echte" Band, mit der ich ein Album auf einem Label veröffentlicht habe. Wir haben ziemlich emotionalen Hardcore gespielt. Bands wie Fugazi, Quicksand, Shellac, The Jesus Lizard und andere haben uns beeinflusst. Wir sind damals mit der Band nach Stockholm gezogen, um richtig durchzustarten. Aber es hat nicht funktioniert. Da ich irgendwann so frustriert von dieser Band war, wollte ich Musik für mich selbst machen. Aus irgendeinem Grund hatte ich das Bedürfnis, ruhigere Musik zu machen und habe Boy Omega als ein Seiten-Projekt gegründet. Bei Labrador haben wir anfangs alles zu viert gemacht, das Songwriting, das Booking, aber am Ende habe ich mich um alles kümmern müssen. Irgendwann habe ich ein Mädchen aus Göteborg kennengelernt und bin dorthin gezogen. Ich hatte versprochen, dass ich jedes Wochenende zum Proben wieder komme. Aber das ist nie passiert. Ich war in den letzten 12 Jahren vielleicht zweimal in Stockholm, und das auf Tour mit Boy Omega.

Es gibt also auch keine Chance auf eine Reunion?

Martin: Witzigerweise haben wir vor einem Jahr auf Facebook darüber gequatscht... aber ich weiß nicht, ich bin eher der Typ, der nach vorne schaut. Ich mag es zum Beispiel auch nicht, als Boy Omega alte Songs zu spielen. Wenn der Song mich nicht mehr betrifft, dann ist es hart, die Emotionen beim Singen echt rüber zu bringen. Nun denke ich bei vielen alten Songs, dass sie viel zu traurig sind. Ich mag auch viele Songs, die im Radio gelaufen sind, nicht mehr. Ich würde nur sehr ungern in den Schuhen von populären Bands stecken, die ihre Hits immer und immer wieder spielen müssen. Das muss sehr hart sein.

Ein Glück hast du so viele verschiedene Songs, da musst du nicht immer die gleichen spielen. Aber wünschst du dir nicht manchmal, ein größeres Publikum mit deiner Musik zu erreichen?

Martin: Ich war noch nie jemand, der sich viel Aufmerksamkeit gewünscht hat oder im Mittelpunkt stehen möchte. Ich liebe es einfach nur, Musik zu machen. Selbst, wenn mir niemand mehr zuhören würde, würde ich weiter Musik machen. Vielleicht wäre es einfacher, meine Musik populärer zu machen, wenn ich eine Person wäre, die sich immer in den Vordergrund stellt. Aber es ist in den letzten Jahren schon viel besser geworden. Früher war ich häufig deprimiert und es ging mir nicht gut. Jetzt fällt mir alles viel einfacher. Ich hätte vor einigen Jahren auch niemals so locker über meine Musik sprechen können, weil ich sie für so privat und persönlich erachtet habe. Vielleicht bin ich einfach älter und reifer geworden.

Gab es ein Ereignis in deinem Leben, das diese Veränderung gebracht hat, oder ist es wirklich nur das Alter?

Martin: Ich denke, ich nehme mich selbst nicht mehr so ernst. Nun genieße ich mein Leben. Aber ein Wendepunkt war sicherlich, als ich vor fünf Jahren Vater geworden bin. Nun kann sich nicht mehr alles um mich und meine Gedanken drehen, denn ich muss mich um meine beiden Kinder kümmern. Es fühlt sich gut an!


Photo Credit: Elisabeth Moch

Welcher ist eigentlich für dich der perfekte Zeitpunkt, um deine Musik zu hören?

Martin: Nach dem Ausgehen, wenn du im Club richtig laute Musik gehört hast, und zu Fuß auf dem Heimweg bist, dann solltest du Boy Omega über Kopfhörer hören! Mit Boy Omega mache ich eben keine Partymusik, aber Tu Howl wird schon eher Partymusik sein. Es ist wie ein Mix aus Roxette und Abba! (lacht) Nein, das ist es nicht. Aber mein Bandkollege bei Tu Howl und ich hören oft Roxette und Abba – obwohl wir eigentlich eher auf Indie-Musik stehen! Abba haben einige Songs gemacht, die sehr ergreifend sind. "Dancing Queen" zum Beispiel. Ich kann diesen Song rauf und runter hören und er haut mich immer wieder um. Sie haben diesen Song für die Königin von Schweden, Silvia, geschrieben. Es gibt auch ein Video, in dem Silvia zu diesem Song tanzt. Das Video ist wahrscheinlich nicht auf Youtube zu finden... aber wenn du dich ins "Deep Web" hinunter wagst, wirst du es finden.

Was ist das "Deep Web"?

Martin: Das ist das echte Internet! Google und andere Suchmaschinen zeigen uns nur einen kleinen Teil von dem, was es im Internet zu finden gibt. Es gibt einen Dokumentarfilm darüber, der, glaube ich, "The Deep Web" heißt.

Per-Ola: Ja, ihr solltet euch mal in die Tiefen des Deep Webs wagen! Es ist echt spannend!

Martin: Es gibt zum Beispiel richtig guten Wein im Deep Web zu finden!

Ich werde mich auch bald mal hinunter wagen! Ich habe noch eine Frage von einem anderen Künstler an dich, denn ich lasse in jedem Interview eine Frage vom interviewten Künstler für den nächsten aufschreiben. Die Frage kommt von James Vincent McMorrow und lautet: "Gibt es einen Musiker, den du so sehr ablehnst, dass du deswegen schon einmal in Frage gestellt hast, selbst Musiker zu werden?"

Martin: Ohh... uhh... das ist aber hart zu beantworten... ich sage: nein! Es gibt so viele Bands, die ich hasse, denn sie machen nur Musik, um damit Geld zu machen. Aber diese Bands bringen mich eher dazu, noch lieber Musik zu machen! Es wäre so einfach, solche simplen Standard-Popsongs zu schreiben, mit einem Refrain wie: "Put your hands up in the air // Wave them like you just don't care!", aber das möchte ich auf keinen Fall. Irgendwann werde ich aber vielleicht mal einen Sommerhit schreiben, den die Leute gerne hören, während sie am Strand sind, mit einem Ball hin und her spielen und lustige Getränke trinken! Soll ich auch eine Frage aufschreiben?

Ja, bitte!

Martin: Meine Frage ist: "Was denkst du über das Deep Web und wie oft warst du schon dort unten?"

Kannst du sie für mich beantworten?

Martin: Nein, lieber nicht (lacht).

Martin will später beim Konzert gar nicht mehr aufhören zu spielen, tobt sich auf der Bühne aus und hat gemeinsam mit Per-Ola jede Menge Spaß. Für die Zugaben verlangt er dann keinen Applaus, sondern: "Put your hands up in the air // Wave them like you just don´t care!". Den Gefallen tun wir ihm doch gerne.

Marlena Julia Dorniak

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