Interview

Against Me!


Gäbe es Awards für die sympathischsten Menschen der Welt, läge Andrew Seward, seines Zeichens Bassist von Against Me!, sicherlich gut im Rennen. Fast schon unverschämt, dass seine Band dazu auch noch mit "White Crosses" ein ebenso sympathisches Album vorgelegt hat. Nur die USA retten, das können und wollen Against Me! nicht. Aber mal von vorne...

Hallo Andrew! Das letzte Mal habe ich euch bei einem Akustikgig in der Hasenschaukel gesehen.

Andrew: Ja, ich erinnere mich. Die Lampen in dem Laden waren Puppen, die von der Decke hingen. Sehr cool und sehr merkwürdig. Da sind wir nur für zwei Akustikshows hierher gekommen und sind dann gleich weiter ins UK.

Die Show wurde aufgezeichnet, oder? Wird es da eine Live-DVD oder Ähnliches geben?

Andrew: Ja, es wurde von Warner aufgenommen. Ein Kölner Freund bekam auch eine Kamera von uns, aber seine Aufnahmen sind nicht besonders nützlich geworden. Ich glaube, Warner will die Videos einfach nach und nach online stellen. Nach einer DVD sieht es bisher nicht aus, aber man weiß nie.

Auf der neuen Platte gibt es ja auch mit „Ache With Me“ einen Song, der mehr oder weniger akustisch ist.

Andrew: Naja, es gibt schon ein paar elektrische Instrumente drauf, aber er ist schon etwas langsamer, mit Klavier. Es gab auch keinen Masterplan, dass wir unbedingt einen solchen Song haben müssten, oder dass wir keinen haben wollten. „Ache With Me“ hat sich einfach so entwickelt.

Auch davon abgesehen, scheint „White Crosses“ sehr zugänglich zu sein, mit vielen großen Melodien und Whoo-Singalongs.

Andrew: Ja, wir mögen Whooos (lacht). Harmonien waren auf jeden Fall ein großes Thema. Butch (Vig, der Produzent, Anm. des Autors) hat Tom und James immer sehr zum Singen animiert (Tom und James sind Tom Gabel, Sänger und Gitarrist und James Bowman, der ebenfalls einige Vocals beisteuert, Anm. des Autors). Daher hast du Recht.

Findest du, dass das Album eine große Abweichung von eurem alten Sound darstellt?

Andrew: Nicht wirklich, so denke ich persönlich zumindest nicht. Wir wollten in viele verschiedene Richtungen gehen, aber wenn man selber in der Band ist, fühlt es sich nie anders an – man spielt und übt die Songs einfach, und es fühlt sich ganz normal an, fast wie ein Teil deines Lebens. Es gibt schon mehr harmonische Stellen, wie gesagt, aber ansonsten gefallen mir die Songs sogar mehr als unsere alten.

Es macht ja sicher auch etwas aus, dass man immer mit den gleichen Leuten spielt – von eurem neuen Schlagzeuger abgesehen.

Andrew: Genau. Willst du die Geschichte hören, wie George in die Band kam? Also – er war schon immer ein Freund von uns, kommt ja auch aus Gainesville und Hot Water Music, seine alte Band, stammt ja auch daher. Er war der Erste, den wir gefragt haben, und auch der einzige, der überhaupt „vorgespielt“ hat. Daher war es sehr natürlich und einfach – und er ist ein super Drummer, was auch gefallen hat.

Um zum Thema „abweichender Sound oder nicht“ zurückzukommen: Ihr konntet ja in gewisser Weise auch tun, was ihr wolltet, da sich so einige eurer Fans der ersten Stunde sowieso von euch abgewendet hatten, nachdem ihr vor „New Wave“ beim Majorlabel Sire unterschrieben habt. Ich habe Youtube-Kommentare gelesen wie „Ich erinnere mich, als Against Me!s Musik vor ein paar Jahren noch etwas bedeutet hat, aber nun...“

Andrew: Es gibt ja dieses Sprichwort: „Haters are going to hate.“ Darüber darf man sich keine Sorgen machen, man muss einfach sein Ding weiter durchziehen. Solche Kommentare tun uns nicht weh, denn es gab sie auch schon zur letzten Platte, und zur vorletzten, und zu jeder davor. Wir sind schon extrem an sie gewöhnt. Es ist ja auch gut, dass jeder seine Meinung hat, und das nehmen wir auch niemandem übel, aber von solchen negativen Stimmen darf man sich nicht beeinflussen lassen. Man muss einfach glücklich mit der Musik sein, die man spielt. Alles Andere ist dann zweitrangig. 

Manchmal wirkt es, als wären Fans von Punkbands am leichtesten angepisst über Veränderungen.

Andrew: Oh, absolut. Das liegt wohl in der Natur des Punk. Wenn die Basis der Musik „Anti-alles“ sein soll, entfremdet man Fans leicht.

Gegen alles zu sein, ist dann aber ja auch eine Art Konvention, obwohl der Punker ja eigentlich gegen Konventionen jeglicher Art sein will.

Andrew: Ganz genau. Wir wollten aber auch nie, dass unsere Musik quasi nur für einen exklusiven Club ist, soviele Menschen wie möglich sollen sie hören. Musik soll gute Gefühle bereiten und auch geteilt werden. Sie soll nicht snobistisch sein, es soll da keine Hierarchie oder so existieren. 

A propos Exklusivität: Ich erinnere mich an eine Aussage von Tom – er meinte, er verstehe die Songs gerne als welche, die er vor einem Stadion voller mitsingender Leute spielen kann.

Andrew: Ich sag's mal so: Gestern in Köln war es unglaublich. Es war verdammt heiß, wie in einer Sauna, aber alle hatten Spaß. Wenn die Leute durchdrehen, wie heute hoffentlich auch (klopft auf den leider nicht wirklich hölzernen Tisch vor ihm), ist das einfach ein wahnsinniges Gefühl. Es ist ebenso wahnsinnig, wenn man vor einer riesigen Menge spielt, aber es macht immer Spaß, egal ob es 10 oder 10.000 Menschen sind. Hab ich die Frage überhaupt beantwortet? (lacht)

Also gab es keinen Masterplan, soviele Menschen wie möglich zu erreichen?

Andrew: Es war zumindest nie unser Plan, uns zu limitieren, es gab nie eine Art Regelsammlung oder kein Manifest: „Wie man in Stadien spielt – Schritt 1“. Damit behindert man sich nur selbst. Wir lieben es zu spielen und was passiert, passiert. Wenn wir das nächste Mal in einem doppelt so großen Club spielen, dann nur, weil eben mehr Leute kommen möchten. Man will ja auch nicht vor 100 Leuten in einem Stadion spielen, das würde ziemlich dämlich aussehen.

Mit dem Stichwort „Manifest“ kommen wir aber auch wieder zum Thema „Konventionen“ zurück. Die müssen Tom ja auch ziemlich genervt haben, wie man an „I Was A Teenage Anarchist“ sieht.

Andrew: Zu diesem Song hat Tom eine sehr gute Erklärung auf unserem Blog, die ich selber gar nicht so gut wiedergeben könnte. Der Song wird sehr oft falsch interpretiert. Er hat gar nicht so sehr die „Fuck You“-Botschaft, die oft gesehen wird. Wichtig ist, dass es bei Anarchie um freies Denken geht, nicht darum, sich irgendwelchen Ideologien unterzuordnen. Schau einfach auf seinen Blog, er ist auf unserer Website verlinkt (lacht).

Manchmal fühlt es sich so an, als wäre es eine Frage des Alters, sich Ideologien unterzuordnen, als würde man das eher als junger Mensch tun.

Andrew: Ein Teil von mir gibt dir Recht, ein anderer Teil will das nicht. Alter ist ja auch nur ein Stereotyp, und wenn man mit der Stereotypenbildung anfängt, handelt man sich nur Ärger ein. Jeder ist verschieden, einige der schlausten Menschen, die ich je getroffen habe, waren sehr jung. Wenn ich jetzt klassifiziere, mache ich nur das Gleiche wie alle anderen. Keine Klassifizierungen also! Keine Stereotypen! (lacht)

Da wir beim Thema Anarchie und daher auch bei Gesellschaftsformen waren: Wie würde die USA aussehen, wenn Against Me! die Regierung stellen würden? 

Andrew: Das ist eine große Frage (lacht). Ich weiß nicht, aber es würde wahrscheinlich mit einem Bürgerkrieg enden. Zuallererst denke ich auch nicht, dass irgendjemand von uns dafür qualifiziert wäre, ein Politiker zu sein. Dafür sind wir alle zu ehrlich. Politiker sind Gauner, überall. Ich weiß nicht, wo man da anfangen sollte. Sollte man zuerst BP vor Gericht stellen? Es wäre schwierig, irgendwas auf die Reihe zu bekommen, da wir wohl weder Demokraten noch Republikaner, sondern probieren, wirkliche...naja, Denker zu sein. Vor allem im Moment ist es ja sehr deutlich, dass Republikaner einfach aus Prinzip nichts zustimmen, was die Demokraten oder Obama einführen wollen, nur aus Hass. Wie auf dem Schulhof, „Nänä nänä nänä“. Ich persönlich finde nicht, dass man seine Ansichten in die eine oder andere Ansicht hineinzwängen sollte. Die Republikaner sind nur negativ, haben aber auch keine Lösungen und die Demokraten geben einfach viel Geld aus (lacht). Milliarden für Bomben, aber es ist so ein Problem, sich mit Gesundheitsfürsorge um die eigenen Bürger zu kümmern, lächerlich. Yay America. 

Ja, wir in Europa müssen jetzt auch unseren halben Haushalt in die griechische Wirtschaft stecken.

Andrew: Das war bei uns ja genau das Gleiche mit dem „bail out“. Ich glaube, das aktuelle Ziel ist einfach, dass nicht die komplette Welt kollabiert (lacht). Vielleicht müsste das aber einmal passieren, ich weiß nicht. Ziemlich furchteinflößend.

Aber a propos furchteinflößend, noch einmal die Ausgangsfrage: Stell dir einfach vor, ihr würdet aufwachen, in der Regierung sitzen und müsstet auch erst einmal die Ministerposten etc. verteilen.

Andrew: Wie in einem Film? Okay. Dann würde ich wahrscheinlich ausflippen und erstmal einen starken Drink benötigen. Tom würde dann wahrscheinlich Präsident sein. Ich wäre dann gerne Außenminister, ich verreise gern. George wär Innenminister. James wäre Heimatschutzminister.

Mein Gott, wieso das denn?

Andrew: Ich weiß auch nicht. Weil er böse aussieht. Und Franz (Nicolay, neuer, mit dem schönsten Schnurrbart der Welt gesegneter Tourkeyboarder, Anm. des Autors) wäre Schatzmeister. Er sieht vertrauenswürdig aus.

Wegen des Schnurrbarts.

Andrew: Absolut. Ein gutaussehender Typ.

Photo: Pressefreigabe Networking Media

Jan Martens

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