Festival-Vorbericht
Reeperbahn Festival 2007
"Auf der Reeperbahn nachts um halb eins, ob du'n Mädel hast oder hast keins, amüsierste dich." Was Hans Albers bereits 1936 wusste, ist knapp 70 Jahre später aktueller als je zuvor, denn das Reeperbahnfestival geht in seine zweite Runde.
Bereits 2006 wurde Hamburgs "wilde Meile" zum Mekka für Musikverrückte: Auf 21 Bühnen, alle um die oder auf der Reeperbahn gelegen, spielten circa 200 Bands aller Genres auf: Das Spektrum reichte von international bekannten Namen wie Krezip, Radio 4 oder Paolo Nutini über nationale Größen wie Tomte, Tocotronic oder Deichkind bis hin zu damals noch unbeschriebenen Blättern wie One Fine Day oder den Kilians. Das Konzept des Reeperbahnfestivals wurde übrigens vom amerikanischen "South By Southwest"-Festival übernommen: Dieses versammelt seit nunmehr 20 Jahren Bands aller Nationalitäten in Austin, Texas; Auftritte dort verhalfen bereits Weltstars wie Norah Jones oder den White Stripes zum Durchbruch.
Doch zurück in den Norden Deutschlands, zurück auf die Reeperbahn. An der Idee, dass auf dieser einmal drei Tage – oder besser: Nächte – lang einmal (mindestens) genauso viele Musiker wie Freudenmädchen um die Gunst von Hamburgern und eigens Angereisten buhlen sollen, hat sich nichts geändert. Um jedoch den geneigten Kiezgänger nicht vor die existenzielle Frage "Progrockkonzert oder Prostitution" stellen zu müssen, wird dieses Jahr finanzielle Entlastung geboten: Nachdem 2006 bis zu 80 Euro für ein Ticket gelöhnt werden mussten, sind nun 3-Tages-Karten für 55 Euro erhältlich, weiterhin werden 1- und 2-Tages-Tickets angeboten. Die Anzahl der Clubs wurde ebenfalls zurückgeschraubt: Dieses Jahr steigt die Luzi "nur noch" auf 16 Bühnen, sowohl kleine, schnuckelige Clubs wie die Hasenschaukel als auch größere Locations wie der D-Club (von Hamburger Einheimischen immer noch "Docks" genannt) sind vertreten.
Schließlich wurde auch die enorme Anzahl von 200 Bands etwas nach unten korrigiert. Doch die sprichwörtliche Qual der Wahl plagt auch bei circa 120 Bands, die das Reeperbahnfestival beehren, kaum weniger. Bereits der Donnerstag bietet den Besuchern des Festivals so einiges. So kommen im Molotow Streifenshirtträger mit den Cribs und den Pigeon Detectives auf ihre Kosten, Freunde deutschsprachiger Musik vergnügen sich mit Tele und Karpatenhund, die ebenso wie die irischen Alternativrocker Ash im D-Club aufspielen. Ausgefalleneres bieten die durchgeknallten Schweden Friska Viljor in der Prinzenbar sowie Shantel, dessen Polka, Punk und Pop vermengendes Album jüngst auch helga-rockt begeisterte. Shantel spielt im Mandarin Kasino auf, und wer sich dann noch nicht müde getanzt hat, kann bis in die frühen Morgenstunden das Tanzbein im Neidclub schwingen, der ein spezielles DJ Set auffährt.
Man beachte: Was hier schon nach dem Line-Up eines gesamten kleineren Indie-Festivals klingt, war erst der Eröffnungstag des Reeperbahnfestivals. Auch am zweiten Tag wird sich so mancher Musikjunkie wünschen, dass endlich die verdammte Klonmaschine erfunden wird, vor allem, da auch etablierte Indie-Clubs wie das Knust, das Grünspan und das Übel & Gefährlich zum ersten Mal ihren Beitrag zum Reeperbahnfestival leisten. Besonders letzterer macht sich durch einen wilden Stilmix interessant: Die schwedische Singer/Songwriterin Anna Ternheim, die ebenfalls schwedischen Politpunkrocker der (International) Noise Conspiracy, die kanadischen Indie-Popper Stars sowie die Glamrocker The Ark, die sich spätestens durch ihren Auftritt beim Eurovision Song Contest einen Namen gemacht haben, treten im Ü&G auf. Im nicht weit entfernten Grünen Jäger wiederum kann sich der Festivalbesucher bei Logh von sanften Klängen verwöhnen lassen und sich anschließend bei Lucky Soul eine Geschichtsstunde in Sachen "Popmusik der 60er" abholen. Wen es hingegen eher zum Herz der Reeperbahn, die Große Freiheit, zieht, dem wird auch im Grünspan einiges geboten: Bevor die Briten von Hard-Fi "Once Upon A Time In The West", den Nachfolger zu ihrem hitgefüllten Debütalbum "Stars of CCTV" vorstellen, betreten dort Biffy Clyro die Bühne, die ihr Alternativ-Prog-Pop-Rock-Meisterwerk "Puzzle" mitbringen. Auch am zweiten Tag des Festivals kann nach den Bands natürlich noch stundenlang bei diversen DJ-Shows weitergefeiert werden.
Wer nach zwei Tagen Programm immer noch nicht genug Musik in sich aufgesaugt hat, der wird natürlich auch am Samstag, dem letzten Tag des Reeperbahnfestivals, nicht enttäuscht. Hochklassiges aus Skandinavien bietet in etwa das Knust: Zunächst präsentieren die Figurines aus Dänemark dort ihr aktuelles Album "When The Deer Wore Blue", bevor sie die Bühne für die schwedischen Shout Out Louds freimachen, deren Zweitwerk "Our Ill Wills" vor nicht allzu langer Zeit gar zu Helgas Album der Woche gekürt wurde. Die Prinzenbar fährt unter anderem die Berliner Combo Ter Haar, die vor allem Postrockfreunde wohl bestens unterhalten wird, sowie die Münchener Elektropopper "Frankreich muss bis Polen reichen" auf. Rockiger geht es unter anderem im Docks zu: Neben Johnossi, die zeigen, dass nicht nur Jack & Meg White mit Gitarre und Schlagzeug ordentlich Lärm machen können, gibt sich gar Juliette Lewis herself mit ihrer Punkrockband "The Licks" die Ehre. Auch das Übel & Gefährlich steht im Zeichen der gepflegten Gitarrenmusik: Neben den Reggae-Rockern von State Radio, die bereits auf Hurricane und Southside viele neue Freunde gewinnen konnten, wollen auch die Emo-Progrocker von Coheed & Cambria erste Klänge ihres bald erscheinenden Albums mit dem handlichen Namen "Good Apollo, I'm Burning Star IV Vol 2: No World For Tomorrow" zum Besten geben. Dass das Festival erneut mit diversen DJ-Sets gebührend abgeschlossen wird, versteht sich von selbst.
Auch 2007 sollte also wieder einmal für jeden etwas dabei sein, das komplette Programm ist unter www.reeperbahnfestival.de zu finden. Zu wünschen ist nur, dass dieses Jahr kaum zu vermeidende Überschneidungen nicht durch ärgerliche Verzögerungen verschlimmert werden und das Festival diesmal dankbarer angenommen wird als noch vor einem Jahr, als viele der Clubs eher spärlich besucht waren und manche der Bands gar nur für die Ordner spielten. Das interessante Programm lässt jedoch die berechtigte Hoffnung zu, dass es dieses Jahr mehr Musikfans in die Hansestadt zieht, um den Kiez zu rocken. Denn: Wo kann man die Festivalsaison besser ausklingen lassen als auf der verrücktesten Partymeile der Welt?
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