Story

Bei Muff Potter im Studio


"Gute Aussicht" wird das mittlerweile siebte Album von Muff Potter heißen. So weit, so eigentlich nichtssagend. Wie inhärent ironisch dieser Albumtitel ist, weiß nur der, der das Studio kennt, unter denen die Scheibe entstanden ist: Das Clouds Hill Studio – wenn man den an der Haustür klebenden Postkarten glauben darf, gerne auch einmal von Geschäftspartnern als "Klaus Hill", "Klau Hill" oder ähnliches bezeichnet -, im wenig idyllischen Industriehafenviertel in Hamburg-Rothenburgsort gelegen, mag engagierten Musikern viele Annehmlichkeiten bieten, eine gute Aussicht hat man zumindest in drei von vier Himmelsrichtungen absolut nicht.

Doch schließlich war es nicht die Lage, die das Münsteraner Quartett dazu bewogen hat, das Clouds Hill Studio ab dem zweiten Weihnachtsfeiertag für knapp einen Monat auf eigene Kosten – kein Label heißt, kein Budget, das man nicht überreizen darf – zu beziehen. Neben seinem guten Ruf und tollem Equipment – beispielsweise einem Mischpult, an dem schon John Lennon aufgenommen hat – waren hier vorrangig zwei Faktoren ausschlaggebend. Der eine: Es liegt weder in Münster noch in Berlin, das heißt, in keiner der aktuellen Heimatstädte der Muff-Potter-Mitglieder und bietet daher niemandem den unfairen Vorteil, zum Schlafen nach Hause fahren zu können, während der arme Rest auf Isomatten nächtigen muss. Der andere: Seine schiere Größe. Schon das Badezimmer würde genug Platz bieten, um ein kleines bis mittelgroßes WG-Zimmer dort unterzubringen, Flure, "Wohnzimmer" und Aufnahmeraum stehen dem in nichts nach. Der Freiraum wirkte sich natürlich auch positiv auf die Bandchemie aus. Früher hieß es gerne einmal "Nimm deinen Computer runter von meinem Lieblingssessel. Du Arsch!", denkt Sänger Nagel lächelnd zurück. "Jetzt haben wir ganz viele Lieblingssessel."

Wirkliche Missgunst gab es so nicht einmal, wenn sich ein Bandmitglied bei den Aufnahmen – zum ersten Mal seit 2001 wurde ein Album live aufgenommen – verspielte. Allzu häufig dürfte dies so oder so nicht vorgekommen sein, nachdem Muff Potter vor den Aufnahmen bereits mehrere Wochen lang in verschiedenen Ferienhäusern in Niedersachsen und Brandenburg geübt hatten. Auch allzu große Ablenkungen durch die Außenwelt dürften die Aufnahmequalitäten nicht getrübt haben, da sich der Kontakt mit eben jener meist auf das Bezahlen der Junkfoodlieferanten beschränkte, deren Umsätze seit dem Einzug der Band in ungeahnte Höhen geschnellt sein dürften. Albumaufnahmen sind ein 24-Stunden-Job, so habe Niko Potthoff – neben Mischpult-Ikone Thorsten Otto einer der Männer an den Reglern – während der ersten sechs Tage nicht einmal das Gebäude verlassen, erzählt Nagel, "aber er hatte ja auch seine Jacke nicht mit."

Es mag am Wunsch gelegen haben, endlich wieder fremde Menschen zu sehen, die keinen Pizzakarton in der Hand haben, aber helga-rockt.de gehörte, neben wenigen Lokalradiovertretern, Intro-Fotographinnen und ähnlichem, zu wenigen Auserwählten, die zwecks erster Pre-Listening-Session persönlich ins Clouds Hill Studio geladen wurden. Serviert wurden passend zur nachmittäglichen Treffzeit Berliner und Käsekuchen, dazu Kaffee aus einem neumodischen, von manchen der Gastgeber teils selbst nicht verstandenen Automat kredenzt. Für Nagel – das einzige der Bandmitglieder, das anwesend war – handelte es sich hier gar um seine erste bisherige Listening Session, was der Grund dafür gewesen sein mochte, dass neben Zucker und Koffein auch eine nicht zu unterschätzende Menge an Zigarettenrauch den Weg in den Körper des Sängers fand.

Zu hören gab es fünf bereits fertig aufgenommene Songs, auch wenn diesen noch der letzte Feinschliff – beispielsweise lauterer Gesang – fehlte. Dazu gehörten unter anderem das wortspielreiche "Blitzkredit Bop" (Refrain: Der schönste Platz ist immer an der Hypotheke), das satirisch nach bester Myspace-Manier verschiedene Adjektive aneinander reihende "Ich Bin Charmant" und "Die Party Ist Vorbei": Dieses wartet mit einem Chorgesang im Mittelteil auf, der während Muff Potters Supportshow für Kettcar in der Großen Freiheit 36 aufgenommen wurde – auch, wenn sich das damalige Versprechen, alle Mitsinger ins Booklet aufzunehmen, doch nicht ganz realisieren lassen wird. Als der Song "Ich Und So" mit Gitarrengeschrammel beendet wird, kommentiert Nagel den Abbruch des Songs folgendermaßen: "Das ist unser Sonic-Youth-Finale, das geht jetzt noch zehn Minuten so weiter." Irgendwie glaubt man ihm das nicht so recht, sind die gehörten Songs doch allesamt das, was man an Muff Potter kennt und schätzt: Melodische Hymnen mit drei Teilen Punkrock und einem Teil Befindlichkeit, die auf "Gute Aussicht" zudem wieder dreckiger nach vorne zu gehen scheinen als noch auf "Steady Fremdkörper".

Wann das Album erscheint, will der nette Herr vom Lokalradio wissen? Der 10. April sei ursprünglich geplant gewesen, bis Muff Potter auf dem Messageboard ihrer Seite gesehen hätten, dass dieser Tag unpraktischerweise der Karfreitag ist. "Da kann man mal sehen, wie professionell wir sind", sagt Nagel. Nach der Listening Session hat die Band noch eine Woche Zeit, um die restlichen Songs – 11, 12 Stücke sollen auf dem Album sein – zu mixen und zu mastern. Dann folgt der Vertrieb, "und ihr sollt ja auch Zeit haben, der Welt zu erzählen, dass es das Album gibt." Machen wir.

Jan Martens

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