Rezension

Trettmann

#DIY


Highlights: Knöcheltief // Grauer Beton // Billie Holiday // Geh ran // Nur noch einenKnöcheltief // Grauer Beton // Billie Holiday // Geh Ran // Nur Noch Einen
Genre: Hip-Hop // Trap
Sounds Like: Future // MHD // Hayiti

VÖ: 29.09.2017

Warum nicht mit Mitte Vierzig Hip-Hop-Ikone werden? Dachte sich wohl auch Ronny Trettmann, strich seinen Vornamen und setzte sich mit Kitschkrieg, dem Kreuzberger Produzenten-Trio, daran seine Stimme per Autotune neu zu definieren. Nach einer Handvoll EPs ist die Verwandlung vom sächsischen Dancehall zum Trap mehr als gelungen.

Als Mitsprecher und Feature tauchen einschlägige Namen auf: GZUZ & Bonez MC von 187 Strassenbande, RAF Camora, Joey Bargeld und Hayiti, sowie Marteria. Auch die Gäste geben ihre biologischen Stimmbänder zu Gunsten der Autotune-Ästhetik auf. Das führt gerade bei GZUZ und Marteria zu positiven Überraschungen. Zusammen mit seinen „Besten“ feiert Trettmann die Partylaune selbst und das dazugehörige Nachtleben. „Nur noch einen, nur noch einen und das war's // Einen allerallerletzten an der Bar // Sag nicht, das hätt' ich schon beim letzten, letzten Drink gesagt“

Die stärksten Momente entfaltet das Album aber, wenn Trettmann solo zu schleppenden 808-Drums seiner melancholischen Ader frönt. Das hymnenhafte „Grauer Beton“ beschreibt das triste Leben im Plattenbau, in dem weiße Sneaker mehr wert sind als Millionen. Trettmann, selbst aufgewachsen im Chemnitzer Wohngebiet Fritz Heckert, der zweitgrößten Neubausiedlung der DDR, weiß, wovon er spricht. Er verflechtet geschickt Anspielungen auf Vergangenes (beispielsweise die seltene Lieferung bulgarischer Melonen) mit Bildern, die Hoffnung und Verzweiflung so nahe führen, dass man als Hörer kaum weiß, auf welcher Seite man gerade steht. Diese traurige Nostalgie in modernem Soundgewand betont den Menschen und seine Träume in der desolaten Lage. So bleibt keine Scham darüber, wo man herkommt, sondern eher grimmiger Stolz und Dank der empathischen Kitschkrieg-Produktion eine unvorhergesehene Harmonie. Ein starkes Stück Musik.

„Geh ran“ hat eine ähnliche Klangkulisse. Thematisch widmet sich Trettmann einem Freund, der Suizid begangen hat. Seine Träume gingen nicht auf. „Deine Chancen stehen schlecht // und wenn sie hör'n, was passiert ist // denken sie, sie hatten Recht // Doch ich weiß, da war immer Hoffnung,“ sagt Trettmann und er hat Recht, wenn er daraus schließt: „Und deine Story muss erzählt werden“. Scheitern ist eben keine Chance, sondern oft grausame Lebensrealität. Diese Geschichten des Scheiterns zu erzählen und nicht zu vergessen, sind wir den Verlorenen schuldig.

Diese wilde und erwachsene Mischung von Hedonismus und schwebender Melancholie, die starke Produktion und das geil eingesetzte Autotune (Ja, man kann das auch gut machen!) krönen „#DIY“ zu einem der besten Alben 2017 und Trettmann selbst zum Hiphop-Sommermärchen.

Peter Heidelbach

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