Rezension

Tomte

Heureka


Highlights: Heureka // Wie siehts aus in Hamburg // Küss mich wach, Gloria // Nichts ist so schön auf der Welt, wie betrunken traurige Musik zu hören
Genre: Indie-Pop
Sounds Like: Kettcar // Death Cab For Cutie // Weakerthans

VÖ: 10.10.2008

„We formed a band“, mag Thees Uhlmann in Anlehnung an die großartige Art-Brut-Single krakeelt haben, als er seine Mannschaft in geradezu unverkennbarer Klinsimanier durchrotierte. „We“, das ist eigentlich er alleine - Herz, Kopf und Seele Tomtes. Kurzer Überblick: Schlagzeuger Bodenstein und Bassist Oliver Koch verließen die Band. Ersterer wurde von Max Schröder („Der Hund Marie“) ersetzt, dessen nun freigewordenen Platz am Keyboard „Sir“ Simon Frontzeck besetzt. Der Basserposten ist noch vakant. Hier bietet sich dann auch ein möglicher Angriffspunkt für die wenigen Uhlmann-Kritiker, die hierzulande existieren: Er forme sich die Band nach seinem Gusto – Stichwort: Alleinherrschaft. Darüber kann diskutiert werden, jedoch nicht an dieser Stelle.

Das alles geschah nun vor der Veröffentlichung bzw. während der Arbeiten am Neuling „Heureka“. „Heureka“? Ein zum geflügelten Wort mutierter Ausruf aus einer von Plutarch überlieferten Anekdote, die heute sinngemäß nach der Lösung einer schwierigen Aufgabe verwendet wird? Worin bestand die schwierige Aufgabe und was bietet uns der Tonträger? Nun zunächst mal, eine Reise zurück – zurück in die Zeit, als man „Hinter all diesen Fenstern“ für das beste deutschsprachige Album aller Zeiten gehalten hat. In die Zeit als man zur unvergleichlichen Großstadtlyrik von „Buchstaben über der Stadt“ durch die verregneten, tristen Straßen seiner vermeintlichen Heimat schlurfte und zum ersten Mal merkte, was die Symbiose aus Musik und Umgebung bedeutet, die von Leuten heraufbeschworen wurde, die wir bis dahin für Fantasten hielten.

Zum anderen ist „Heureka“ ein weiterer Beweis dafür, dass Tomte = Thees ist. Die Umbesetzung änderte nämlich nichts an diesem Tomte-Gefühl, das Thees Uhlmann mit seiner Arbeiterprosa vermittelt. Auch weiterhin kratzt er mit vielen seiner Zeilen die Grenze zum Kitsch an („gib mir einen kuss/als ob du danach 1000 Jahre auf Küssen warten musst“), ohne sie jedoch zu überschreiten. Was bei vielen anderen deutschsprachigen Textern lächerlich evoziert daher käme, wird von Thees Uhlmann solange zurecht gedehnt bis es passt – bis alles passt. Das Gefühl, dass da jemand ist, der simpel ausdrückt, was wir selbst nur mit unendlichen Schachtelsätzen zu vermitteln imstande wären, schafft Identifikation und bedingungslose Gänsehautgarantie. Mochtest du Tomte einmal, haben sie dich einmal begleitet, wirst du bei jeder neuen Platte wieder in die Ursprungseuphorie zurückgeworfen. Hier funktioniert allerdings auch der Umkehrschluss: konnte man noch nie was mit Tomte anfangen, wird sich das wohl auch nie ändern.

Dass „Heureka“ - ebenso wie seinerzeit „Buchstaben...“ - das musikalisch ausgereifteste Werk der Hamburger und Wahlberliner ist, wird an dieser Tatsache nur marginal etwas ändern. Der Titelsong prescht mit ungeheurer Klavier-Hookline sofort in den Gehörgang und die Snare gibt vor, wohin der Weg geht. Tomte wirken noch offensiver als sonst, wie neu belebt, zumindest vermittelt dieser gezielt ausgewählte Opener ebendiesen Eindruck. Neben musikalisch wie textlich typischen Tomte-Songs („Der letzte große Wal“, „Wie ein Planet“) wird außerdem ein Statement an die Heimat abgeliefert. „Wie siehts jetzt in Hamburg aus“ ist neben seiner Großartigkeit vor allem ein Hinweis auf die Vergänglichkeit von Stadt, Club- und Subkultur und ein Fingerzeig auf die ehemals prekäre Situation in Hamburg, in dessen Mittelpunkt das vor dem Aus stehende Molotow stand. Vielleicht(?!). Der vorletzte Song der Scheibe liefert das progressivste Moment. Ohne sich an typisch archaische Songstrukturen zu halten, nimmt er an Größe zu und ufert in dieses absolute Überstatement: „Nichts ist so schön auf der Welt, wie betrunken traurige Musik zu hören“. Ein Satz, so einfach und doch so wahnsinnig treffend, wie es – wie oben schon erwähnt – sonst kaum jemand hinbekäme.

Nach dem mehrmaligen Genuss dieser Platte wird man das Gefühl nicht los, dass Tomte eine Band ist, die sich stetig nach vorne entwickelt hat und nie den Schritt zurück gehen musste. Ohne ihre Wurzeln zu verleugnen, sind sie nun von „Eine sonnige Nacht“ über „Hinter all diesen Fenstern“ zu „Heureka“ gelangt und plötzlich fühle ich mich wie damals, nur dass ich etwas älter bin und sie etwas weiser.

Andreas Peters

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