Rezension

Thrice

The Alchemy Index: Vols. I and II - Fire and Water


Highlights: Firebreather // The Arsonist // Open Water // Night Diving
Genre: Prog-Rock
Sounds Like: Deftones // Thursday // Radiohead // Mogwai

VÖ: 09.11.2007

Eine Rezension zu schreiben, könnte kaum einfacher sein als in diesem Fall. Es gibt einfach so viel zu berichten. Der erste Grund hierfür ist diese Geschichte einer Band, die anfangs rohen Metal, Skate-Punk und Hardcore kreuzte („Identity Crisis“, 2000), ihr Songwriting verfeinerte („The Illusion Of Safety“, 2002) und letztlich einen überzeugenden, eigenen und homogenen Sound zwischen den Koordinaten Wut, Poesie und Melodie fand („The Artist In The Ambulance“, 2003). Damit brachten sie es auf hohe Platzierungen in den amerikanischen Billboardcharts und wurden sinnloserweise und wider Willen in die Kapitänskajüte des Emoflagschiffs einquartiert. „Chart-Core“ schimpfte sich angeblich das, was Thrice da fabrizierten.

Dann der Wendepunkt. 2004 erscheint „If We Could Only See Us Now“, eine Banddokumentation und gleichzeitig ein Schlussstrich im DVD-Format. Darauf: Gesammelte B-Seiten, Akustikversionen von alten Songs und Live-Mitschnitte. Die Vergangenheit der Band also zusammengefasst und komprimiert, hieß es jetzt: Neuorientierung. Die folgte dann auch mit „Vheissu“: Die Instrumentierung erweiterte sich, das Tempo wurde gedrosselt und der Fokus auf Atmosphäre gelegt. Auch wenn das Songwriting zu Gunsten der Experimentierfreude etwas zu leiden hatte, war man der klaustrophobischen Situation der oben genannten Kajüte in jedem Fall entkommen. Das war vor zwei Jahren.

Und jetzt drehen sie vollends ab, könnte man meinen. Ein Mammutprojekt wurde angekündigt, als wäre all ihr bisheriges Schaffen nur auf diesen Moment ausgerichtet gewesen: Vier EPs, jede enthält sechs Songs, die den vier Basiselementen der Alchemie - Feuer, Wasser, Erde, Luft - gewidmet sind. Diese erscheinen nun paarweise, Feuer und Wasser machen den Anfang. These: So viel Anspruch - das kann ja nur schiefgehen.

Der zweite Grund, aus dem diese Rezension so leicht zu schreiben ist, ist das Einfühlsvermögen der Band, mit welchem sie die ersten beiden EPs kreiert haben. Die Bilder im Kopf sind real, sie zwingen sich förmlich auf. Thrice haben sich merklich den Kopf über ihren Sound zerbrochen, ihn dabei aber nicht verloren. Der Sound der „Fire-EP“ gleicht einem brodelnden Vulkan. Dustin Kensrue singt bedrohlich und schreit erbarmungslos. Lodernde Flammenwände und Coheed & Cambria-Chöre machen „Firebreather“ zur dramatischen Eröffnung, Riff-Infernos und Brechstangen folgen in „The Messenger“. „Backdraft“ schleicht zunächst bedrohlich-hypnotisch, bricht dann aus. Was ein Klangbild ist, zeigen sie uns dann in „The Arsonist: “I love this city enough that i'll set it ablaze“. Kaum angekündigt, sogleich nach brutalem Crescendo furious vertont. „Burn The Fleet“ ist dann die oft bemühte „Ruhe“ vor dem Sturm. „The Flame Deluge“ ist an Tragik und Brutalität schwer zu überbieten. „Ein Mensch brennt“ würden Rammstein grunzen. Das Feuer kommt selbst zu Wort und verdammt die Menschheit, von ihr zur Zerstörung missbraucht worden zu sein. Einmal tief schlucken und sacken lassen....

Textlich kann man den Übergang zur „Water-EP“ in deren ersten Zeilen durchaus sehen: „I woke. Cold and alone. Adrift in the open sea.“ Die Sintflut des Feuers ist vorüber. Rein klanglich ein kompletter Bruch, das Wasser erlischt die Flammen. Syntheziser, Shoegazegitarren und Elektrobeats umspülen den Hörer in „Digital Sea“, der Refrain treibt knapp unter der Wasseroberfläche. Dann sinkt das Geschehen auf den Meeresgrund ab. „Ten thousand men sleep down with Davy Jones, with stolen treasures they tithe. Überwältigend, wie perfekt die Band derartige Szenarien vertonen kann. Die Melancholie vereinnahmt und berührt so tief, wie „Open Water“ im Meeresdunkel liegt. Die Reise zum „Lost Continent“ am Horizont ist endlos, ist vergebens. Das instrumentale „Night Diving“ vertont einen nächtlichen Tauchgang klingt dann, als würden sich Mogwai und Isis um die erste Geige kloppen. Detailreichtum, der fasziniert. In den Seemann, der im kathedralen Orgelschlepper „The Whaler“ seine Familie zurücklassen muss, die ihn zu bleiben anfleht, kann sich Dustin ebenfalls perfekt hinein versetzen – Stichwort Tourstress. Im finalen „Kings Upon The Main“ leiht er dann dem Wasser seine Stimmbänder. Der Mensch wird es niemals kontrollieren können, das mögen noch so tapfere Seemänner mit den besten Seekarten versuchen.

These verworfen. Thrice haben hier zwei in sich völlig schlüssige Werke erschaffen, die soundtechnisch und lyrisch an Originalität nicht zu schlagen sind. Eine der faszinierendsten Metamorphosen derzeitiger Rockhistorie ist vollzogen, „Vheissu“ darf als Übergangsplatte verstanden werden. Dass die im April erscheinenden dritten und vierten Viertel von „The Alchemy Index“ den ersten beiden in nichts nachstehen werden - davon ist schon fast auszugehen. Die dreieinhalb Monate bis dahin werden nur leider verflucht lang.

Gordon Barnard

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