Rezension

The Rakes

Ten New Messages


Highlights: Little Superstitions // Trouble // Suspicious Eyes
Genre: Indierock
Sounds Like: Bloc Party // Joy Division // Editors

VÖ: 16.03.2007

London, 7.7.2005. Um 8.50 explodieren kurz hintereinander drei Bomben in der Tube. Betroffen sind die Piccadilly Line zwischen King's Cross und Russel Square, die Station Edgware Road und die Strecke zwischen der Liverpool Street und Aldgate im Bankenviertel. Um 9.47 folgt eine weitere Detonation in einem Doppeldeckerbus am Tavistock Square. 56 Menschen sterben, ca. 700 werden verletzt. Unter den Toten befinden sich auch die vier vermeintlichen Selbstmordattentäter. Wie sich in den nächsten Wochen herausstellen wird, handelt es sich um unauffällige junge Männer nahöstlicher bzw. jamaikanischer Abstammung.

Gut vier Wochen später erscheint der Debütalbum „Capture/Release“ einer nicht mehr ganz so jungen Eastend-Band namens "The Rakes". Unter all den ultracoolen The-Bands, spritzigen Maximo Parken, hippen, hitlastigen Kaiser Chiefs und tanzwütigen Bloc Parties des Jahres geht die Platte rettungslos unter, abgestempelt als „eine gute unter vielen sehr guten“. Unverdientermaßen? Vielleicht. Aus der Retrospektive betrachtet, erweist sich die Band als dauerhaft haltbar, das Debüt als innovativer als das meiste von dem anderen Schmu, die Livequalitäten bei einem Konzert, ausgerechnet in Strasbourg, als ausgezeichnet. Das hier sind keine unreifen jungen Hüpfer, das sind fast ausgewachsene Männer.

23.3.2007. Fast zwei Jahre später lassen sich in der doch eigentlichen Multikultimetropole London Veränderungen feststellen: Noch mehr CCTVs, Hysterie auf Grund vergessener Koffer und eine gewisse unterschwellige Ablehnung ethnischer Minderheiten. Eben jene Paranoia verarbeiten die Rakes nun auf ihrem Nachfolger „Ten New Messages“. Das Kernstück des Albums trägt den Titel „Suspicious Eyes“ und berichtet von einer ganz normalen morgendlichen Fahrt mit der U-Bahn. Erzählt wird der Song von vier Protagonisten im klassischen Multi-Perspektiven-Stil: Da ist Rakes-Sänger Alan Donohoe, der auf dem Weg zur Arbeit die Leute interessiert mustert, eine junge Frau (Neuentdeckung Laura Marlin mit ausgesprochen süßer Engelsstimme), die beim Einsteigen eines Farbigen sofort unter Bombenangst leidet, ein vermeintlicher Zeitungleser, der ähnlich finstere Gedanken hegt, und eben jener Schwarze. Achtung, hier wird auf einem Indie-Album gerappt! Auch die Rakes nutzen Myspace und ziehen sich doch gleich mal einen asiatischen HipHopper namens Raxstar an Land. Der erfasst in der Songszenerie die Wirkung seiner Person sofort (they were acting like they had never seen a brown person before), hat sich aber inzwischen mit derartigen Anfeinungen abgefunden. Selten war Indierock so spannend, politisch und vielseitig.

Derart tiefgängig ist „Ten New Messages“ freilich nicht immer, aber öfter. Deutlich anders als „Capture/Release“ ist die Platte definitiv. Wo der Erstling hektisch und ungestüm war, ist die neue vorsichtig und zurückhaltend, sanft, manchmal gar zärtlich. Tanzbar ebenfalls, aber auf andere Art und Weise. „The world was a mess but his hair was perfect“ erinnert da noch am ehesten an das Debüt, zumindest die rakeske Gitarre, stimmlich hat Donohoe sich arg zurückgenommen. Der Song beschreibt fantastisch die Schnelllebigkeit unserer Gesellschaft, das Streben nach Perfektion in einer kaputten Welt. Please don't touch my face or hair, cause that would ruin my life.

„Little Superstitions“ ist eine bezaubernde kleine Liebeserklärung, die sich tapfer auf dem schmalen Grad zwischen „wunderschön“ und „belanglos“ hält. Lasst uns die Zeit nutzen, die wir zusammen haben. Oder Tanzen gehen. Am liebsten auf Dächern. „We danced together“ heißt die Single, allerdings weniger ein „Dancefloorfiller“ als vielmehr ein Film-im-Kopf-abspiel-Song. Ersteren Part übernimmt stattdessen „Trouble“. Und was kommt danach? Leider nicht mehr ganz so saustarke Songs, von „When Tom Cruise Cries“ (10 Punkte für den Songtitel!) und „On a Mission“ mal abgesehen. Über den Rest lässt sich im Grunde auch nichts Böses sagen, betrachtet man das Ganze als Albumabrundung.

Ein Fazit muss her, ein Fazit muss her: Tolles Album. Naja, das reicht vielleicht nicht ganz. Also, den Rakes gelingt mit ihrem zweiten Album ein zeitgemäßes Werk, ohne in die Wiederholungsfalle zu tappen. Klang das jetzt halbwegs musikjournalistisch? Hoffentlich. Mein ganz persönlicher Tipp: Unterschätzt diese Band nicht.

Lisa Krichel

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