Rezension

The Flaming Lips

Embryonic


Highlights: Evil // Worm Mountain // Silver Trembling Hands // Virgo Self-Esteem Broadcast // Watching The Planets
Genre: Psychedelic // Experimental // Krautrock // Ambient // Pop
Sounds Like: Tortoise // Pink Floyd // The Mars Volta // The Low Frequency in Stereo // The Faint // Autechre // Fuck Buttons

VÖ: 23.10.2009

Die Flaming Lips sind eine dieser Bands, deren Kreativität schier unerschöpflich scheint. Wie sonst ist es zu erklären, dass es die Herren um Wayne Coyne bereits seit über 20 Jahren fertig bekommen, mit jedem weiteren Album immer noch etwas Neues auf Lager zu haben, und zu keinem Zeitpunkt ausgelutscht zu klingen? Noch in den 80er Jahren mit eher verdrogten und experimentellen Sounds gestartet, ist der tatsächliche Durchbruch der Band ihrer Zuckerwatte-Phase ab Ende der 90er Jahre (Soft Bulletin / Yoshimi) zuzuordnen. Die neuesten Werke zelebrierten - gleichermaßen erfolgreich - Bombast-Pop mit Melodien für die Ewigkeit. Doch die Flaming Lips wären nicht die Flaming Lips, wenn sie dem nicht noch einen draufzusetzen wüssten. Nicht nur, dass „Embryonic“ mit 18 Songs verteilt auf stolze 70 Minuten Spielzeit ein echtes Monstrum geworden ist. Nein, auch soundtechnisch könnte man dieses Werk durchaus als im positiven Sinne monströs bezeichnen.

„Embryonic“ einem konkreten Genre zuzuordnen, ist nämlich mit der Quadratur des Kreises zu vergleichen: Psychedelic, doch irgendwo noch Pop oder einfach nur experimentell? Von Song zu Song stellt sich das unterschiedlich dar. Der Einstieg in das neue Album fällt hauptsächlich durch seine gegenüber „At War With The Mystics“ deutlich düsterere Grundstimmung auf. Ein übersteuernder Bass kreiert ein minimalistisches, repetitives Gerüst, auf dem “Convinced Of The Hex” aufbaut, und lässt Krautrock-beeinflusstere The Faint grüßen. Nur wenige Minuten später jedoch wabert mit „Evil“ plötzlich ein feines Ambient-Pop-Stück aus den Boxen, um sich direkt darauf dem scheinbar konzeptlosen Jam-Intermezzo „Aquarius Sabotage“ zu beugen. Jenes selbst leitet wiederum das krachende Bassmotiv zu „See The Leaves“ ein, das die Querverbindung zurück zum Anfang zementiert.

Der geneigte Leser dürfte bereits ahnen, dass sich hinter „Embryonic“ eine ergiebige Fundgrube verbirgt. Eine Fundgrube an kleinen Melodiebausteinen, ab und an vielleicht sogar nur angedeuteten Motiven, die die Lawine an Feedbacks, wirren Stimmen aus dem Off, sägenden Bässen und Mars-Volta-Gefrickel durchbrechen wie die ersten Schneeglöckchen Anfang März. Akustisch klingt diese Mischung ähnlich verschroben, wie sie sich liest, und so ist es nicht weiter verwunderlich, dass Karen O’s Feature in „I Can Be A Frog“ darin besteht, Tierstimmen ins Mikro zu krächzen und sich anschließend darüber kaputtzulachen. Dabei ist jener Song sogar noch eher den Vertretern auf „Embryonic“ zuzuordnen, die ihre Struktur nicht hinter einer Effektwand verbergen. Und doch ist er unter selbigen wieder die Ausnahme, da die Dominanz der verzerrten Basslines fehlt.

Diese zeigt sich dafür in „Worm Mountain“, das - obwohl von MGMT gefeatured – eher nach MSTRKRFT klingt, wieder vehement, bevor das dream-poppige „Silver Trembling Hands“ und insbesondere das kalte, endlose Weiten verkörpernde Ambient „Virgo Self Esteem Broadcast“ endgültig abheben – und der monumentale Abschluss „Watching the Planets“ das Werk zunächst von oben betrachtet, um dann wieder zum Anfang von „Convinced of the Hex“ zurück zu geleiten. So, als wollten die Flaming Lips mitteilen, „Embryonic“ sei eine Art Perpetuum Mobile, welches nach Ablauf unweigerlich direkt im Anschluss noch einmal gehört werden müsse. Für einen Großteil der Hörerschaft sollte diese Annahme auch zutreffen, wenngleich einige das Album etwas anstrengend finden könnten. Definitiv festzuhalten ist jedoch eines: Die Bühnenshows der Flaming Lips (Tierkostüme, Ballons und Konfettikanonen) bedürfen bis auf weiteres erst einmal keiner Überarbeitung.

Johannes Neuhauser

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