Rezension

The Avalanches

Wildflower


Highlights: Because I'm Me // Subways // If I Was A Folkstar // The Wozard Of Iz // Sunshine
Genre: Elektro // Rap // Plunderphonics
Sounds Like: The Go! Team // Basement Jaxx // The Beta Band

VÖ: 08.07.2016

Wie hat sich die Welt doch verändert, seit sie uns verlassen haben. Als 2000 das erste und einzige Album „Since I Left You“ der Avalanches erschien, dachte niemand, dass in den folgenden Jahren wieder religiös motivierte Kriege geführt werden. Oder dass das Musikhören sich ins Internet verlagert und quasi jeder geschriebene Song sich in Sekunden aufrufen lässt. Oder dass MTV sich schon bald auf Dating-Fließbandserien konzentriert und Musikvideos ihre neue Heimat im Netz finden. Nun veröffentlichen die Australier nach sechzehn Jahren den Nachfolger zum wohl intimsten Partyalbum der Nuller, die Gefahr in Kauf nehmend, ihre eigene Legende zu demontieren.

Die Zeichen standen dabei erst mal denkbar schlecht. Die Vorabsingle „Frankie Sinatra“ war ein einziges Debakel. Ein dümmlicher Bastard aus Electro Swing und Gorillaz-Zirkus, in dem Danny Brown und MF Doom zu verwirrten Blödelbarden verkommen. Wie konnte der Zug nur so entgleisen? „Frankie Sinatra“ ist wohl der verzweifelte Versuch, einen Ohrwurm zu schreiben. Nur leider schubst die aufdringliche Melodie einen in den Wahnsinn. Die gute Nachricht: Dieses Lied bleibt der einzig wirkliche Ausreißer.

Der Blick auf die Gästeliste mit Ariel Pink, Father John Misty, Jennifer Herrera von Royal Trux, Toro Y Moi und Biz Markie verrät bereits, dass „Wildflower“ ein wilder Ritt durch die letzten Jahrzehnte der Tanzmusik ist. „Because I'm Me“ wirft dem Hörer schiefes Kindergejaule um die Ohren, um dann in einen Soul-Beat überzugehen, zu dem Ghostface Killah über die grausamsten Todesarten gerappt hätte. Die Avalanches bleiben hingegen quietschbunt, besingen knusprige Frühstücksflocken auf „The Noisy Eater“ und huldigen (natürlich nur schönen) U-Bahn-Fahrten. „Wildflower“ liefert immer noch Hits, die über Kopfhörer müffelnde Zimmer in schimmernde Sommerwälder verwandeln.

Natürlich haben sich die Copyright-Gesetze geändert. „Wildflower“ ist weniger Plunderphonics als der Vorgänger, welcher der Legende (!) nach über 3500 Samples enthielt. „Colours“ soll sogar vollständig auf fremde Liedelemente verzichten. Trotzdem bilden Samples immer noch das Fundament des Klangteppichs der Avalanches, dabei wird angenehmerweise nie bloß aus völlig Obskurem geschöpft. Besonders der elektronische Mittelteil des Albums mit „Subways“ oder „If I Was A Folkstar“ erzeugt einen starken Sog, indem die einzelnen Lieder ineinanderfließen. Hier klingen die Avalanches so, als wären gerade ein paar lausige Wochen zu „Since I Left You“ vergangen.

Später wird allerdings deutlich, dass „Wildflower“ weniger Fluss als der Vorgänger besitzt. Immer häufiger wird das Musikgenre gewechselt und hastig angerissene Songideen abgespult. „Live A Lifetime Love“ zerstampft Kinderchöre mit Kirmes-Rumtata, und bietet eigentlich mehr Ideen als ganze Alben anderer Musiker. Trotzdem beschleicht einen hier doch das Gefühl, dem neuen hastig zusammengeworfenen Girl-Talk-Mixtape und nicht einem Album zuzuhören, an dem sechzehn Jahre lang gefeilt wurde. Doch gerade als man befürchtet, dass dem Album auf der Zielgeraden doch die Puste ausgeht, kommt mit „Sunshine“ ein Juwel, welches sogar auf J Dillas legendären „Donuts“ hervorgestochen hätte.

„Wildflower“ ist keine Jetztmusik, keine Bestandsaufnahme elektronischer Tanzmusik im Jahre 2016, sondern ein wehmütiger, sepiagetünchter Nostalgietrip. Diesem Album wird immer das vollkommen falsche Stigma des Aufgekochten anhaften. Natürlich bleibt jedes erste Mal immer das Schönste und Magischste, aus welchem sich die schillerndsten Legenden spinnen. Dieser Reiz des Neuen ist verpufft, eine Sammlung wunderbarer Sommersongs bleibt „Wildflower“ trotzdem und ist deshalb das bestmögliche Album, dass die Avalanches unter Beibehaltung ihres Namens hätten veröffentlichen können.

Yves Weber

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