Rezension

State Radio

Year Of The Crow


Highlights: CIA // Gang Of Thieves // Rash Of Robberies
Genre: Reggae-Rock
Sounds Like: Sublime // Bob Marley // Rage Against The Machine // The Jai-Alai Savant

VÖ: 01.02.2008

Musik mit politischen Inhalten ist immer so eine Sache. Zum einen deswegen, weil Musikkonsum für viele wohl einfach zur Entspannung und zum Abschalten dienen soll, also eine Aktivität ist, während der die großen und kleinen Sorgen dieser Welt erst einmal hinten angestellt werden. Zum anderen scheint es insbesondere zu Zeiten der Ära Bush (nicht ganz unberechtigterweise) eine Modeerscheinung in U18-Kreisen zu sein, sich mit den Leistungen der Politik im Allgemeinen und der US-Regierung im Speziellen unzufrieden zu zeigen, was wiederum zur Folge hat, dass sich nicht wenige (Punk-)Bands durch naive "Fuck George Bush"-Lyrics ein jugendliches Publikum zu erschleimen versuchen. Jene Bands hingegen, die wirklich eine Ahnung haben, worüber sie texten, scheinen eher die Ausnahme zu sein. Rage Against The Machine und System Of A Down (in ihren politischen Momenten) sind zwei dieser Ausnahmen, Anti-Flag eventuell ebenso. Weiterhin zu diesem Kreis gezählt werden können auch State Radio, die nun mit "Year Of The Crow" ihr zweites Album veröffentlichen.

Bereits ein Blick in die Biographie des Frontmanns Chad Stokes zeigt, dass die Verarbeitung politischer Themen bei State Radio nicht nur instrumentalisiert wird, um kommerziellen Erfolg zu erzielen, sondern absolut integer ist. Bereits in seiner Jugend engagierte Stokes sich politisch, lebte während seines achtzehnten Lebensjahres in Zimbabwe und gründete wenig später die Roots-Rock-Band Dispatch, die in den USA beachtliche Erfolge erzielen konnte. Dispatch lösten sich 2002 auf, spielten im Juli 2007 jedoch noch einmal drei Benefizkonzerte im New Yorker Madison Square Garden, die über zwei Millionen Dollar für die Zimbabwer Entwicklungshilfe einbrachten. Stokes' Interesse an Afrika wird nun auch auf "Year Of The Crow" unter anderem in "Sudan" thematisiert, das den dortigen Bürgerkrieg aus der Sicht eines kleinen Jungen schildert. Songs wie "Guantanamo" oder "CIA" kritisieren Außen- und Sicherheitspolitik der USA, während in anderen Liedern fiktive Geschichten oder Anekdoten aus Stokes' eigenem Leben zum Nachdenken anregen wollen.

Selbstverständlich ist natürlich, dass intellektuelle Stimulation jedoch nicht das einzige Ziel ist, das State Radio verfolgen. "Die Leute sollen über das nachdenken, was ich sage, während sie die Musik genießen, die wir schaffen" verkündet Stokes über das Medium des Plattenlabel-Promozettels und bezeichnet den Reggae-Rock seiner Band ziemlich treffend als "Mischung aus Rage Against The Machine und Bob Marley." Der Einfluss des jamaikanischen Rastafari ist beispielsweise in "Fight No More" oder "Sudan" deutlich herauszuhören, während sich bei "Barn Storming" oder "Fall Of The American Empire" aufgrund des mal mehr, mal weniger dezenten Posauneneinsatzes schon fast Verbindungen zu Ska(-Punk)-Bands wie den Pietasters oder den Mighty Mighty Bosstones knüpfen lassen. Eher in der Nähe des Rage-Against-The-Machine-Pols des Bandspektrums angesiedelt sind hingegen das jammige "Wicker Plane", das aggressive "Gang Of Thieves" und schließlich "CIA", das in seinem Refrain sogar mit einem fröhlichen, aber extrem ironischen Sing-along aufwarten kann: I know you'll never let us down, CIA. Zwischen den Genrewelten bewegt sich letztendlich "Rash Of Robberies": Nach einem energiegeladenen Einstieg setzt plötzlich die Instrumentierung aus und baut sich dann zum Ende des Songs hin immer weiter wieder auf. Dramaturgisch und musikalisch ist das über sechsminütige Stück wohl das Highlight des Albums, das mit der Geschichte eines alten, alzheimerkranken Mannes, der auf dem Sterbebett nicht einmal mehr seine Frau wiedererkennt, zudem ein extrem bedrückendes Thema behandelt.

Musik und Politik, nachdenken und genießen, prodesse et delectare: Das doch recht ehrgeizige Ziel, das sich State Radio gesetzt haben, scheint zumindest auf "Year Of The Crow" kein unrealistisches zu sein. Natürlich, wer seinen Kopf während des Musikgenusses nur zum Headbangen gebrauchen möchte, der wird mit State Radio nicht glücklich werden. Alle anderen bekommen mit dem zweiten Album des Trios aus Michigan ein Werk geboten, das nicht nur Lust auf die Livepräsentation der Songs, sondern auch auf weitere Recherche der in den Texten angeschnittenen Themen macht. Wie bereits erwähnt: Solch ein gelungener Spagat ist relativ selten. "Fuck George Bush" war gestern.

Jan Martens

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