Rezension

St. Vincent

Actor


Highlights: The Strangers // Actor Out of The Work // Black Rainbow
Genre: Soundtrack // Experimental Pop // Chanson
Sounds Like: Fantômas // Sufjan Stevens

VÖ: 02.05.2009

Die Soundtracks großer Hollywood-Blockbuster bieten in etwa so viel Überraschungsmomente wie die Neujahrsansprache des Bundeskanzlers. Da kann man gern auch mal die Rede vom vorigen Jahr über den Äther jagen, merken tut's keiner und zuversichtlich sind hinterher trotzdem alle. Derselbe Einheitsbrei findet sich in der akustischen Mainstream-Filmwelt wieder. Hat ein Komponist erst einmal herausgefunden, welche drei Akkorde herzzerreißend traurig oder unbeschwert fröhlich klingen, und gute Verbindungen nach ganz oben, kann er sich Hans Zimmer oder einen ähnlich langweiligen Namen geben und für den Rest seines Lebens in finanzieller Unbeschwertheit leben.

Bei den unabhängigen Filmproduktionen sieht das Bild anders aus. Nicht nur, dass dort kaum Gelder zur Verfügung stehen, oftmals werden auch kreative Musiker verpflichtet, die aus ideellen Gründen mitwirken. Überraschenderweise finden sich die inspirierendsten Soundtracks jedoch fernab jeglicher filmischer Produktionsketten – statt dessen entstehen die interessantesten Werke dort, wo sich die Musiker durch Filme haben beeinflussen lassen. Mike Patton hat es mit seinem Projekt „Fantômas“ vorgemacht. Die unkonventionellen Songs wirken hochgradig cineastisch.

Die Texanerin Annie Clark hat sich ebenfalls der Komposition von Filmmusik verschrieben, die für keinen Film gemacht wird. Wie Patton ließ sie sich nach eigener Aussage beim Komponieren durch ihre Lieblingsfilme „Badlands“, „The Wizard of Oz“, „Pierrot le Fou“ etc. beeinflussen. Ihr zweites Album „Actor“, das sie unter dem Künstlernamen „St. Vincent“ veröffentlicht, klingt durch die ungewöhnlichen Arrangements passenderweise ein wenig nach Fantômas „light“. Dies liegt auch an den märchenhaften bis surrealen Sujets.

„The Strangers“ gibt die Marschroute vor: Eine eingängige Melodie, gesungen von Clarks chansonartiger Stimme, im Hintergrund Holzbläser, ein Xylophon und ein leichter Beat. So richtig scheint alles nicht zusammenzupassen, das macht hier jedoch den Reiz aus. Auch in „Save Me From What I Want“ und „The Neighbors“ klingt alles ein wenig schräg, an jeder Ecke gibt es überraschende Harmonien, unerwartete Töne. Glücklicherweise hält Clark ihren bemerkenswerten Gesang aufrecht, der einen roten Faden innerhalb der Songs liefert.

„Actor Out Of The Work“ erinnert durch einen Hintergrund-Chor und eine Orgel an Abba, verzerrt wird das Bild durch disharmonische Blechbläser. Die Orgel wird im folgenden „Black Rainbow“ wieder aufgegriffen. Darin findet sich eine dramatische Steigerung, die jedes Superheldenfinale vertonen könnte – nur, um an der spannendsten Stelle abrupt abzubrechen. Nach dem poppigen „Laughing With A Mouth Of Blood“ und dem discoesken „Marrow“ folgen die etwas schwächeren Songs des Albums.

„Actor“ ist ein ambitioniertes und ungewöhnliches Album zugleich. Clark singt, spielt Gitarre, Bass und Keyboard selbst ein und schreibt noch dazu sehr komplexe Arrangements für die restlichen Instrumente. Handwerklich großartig, ist es mitunter schwer, den Songs zu folgen, zu persönlich erscheinen einige Bilder, die nur in ihrem Kopf entstehen. Sie ist auf dem besten Weg, ein weiblicher Mike Patton zu werden.

Mischa Karth

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