Rezension

Sometree

Bending The Willow


Highlights: Seraph // Bending The Willow // Hands & Arrows // Whatever Makes You Sleep // Soft Remarks
Genre: Traurige und melancholische, wunderschöne Musik
Sounds Like: The Appleseed Cast // Slint // Elliott

VÖ: 02.06.2006

Stell dir vor, du hättest noch nie in deinem Leben Musik gehört, sitzt auf einem Baum mit einem Discman in der Hand und legst eine CD ein. Es regnet ein wenig, es ist windig, du frierst ganz leicht. Dann legst du dir die Kopfhörer auf und du solltest nie wieder derselbe sein, der du einmal warst. So oder vielleicht auch ganz anders erging es mir, als ich das erste Mal das neue Werk der Neu-Berliner und Exil-Hannoveraner Sometree hörte. Ich wurde in einen Strudel tieftrauriger und wunderschöner Melancholie und Nachdenklichkeit gerissen. Ich verlor mich. Verlor meine Umwelt und hielt inne. Manchmal gibt es sie, diese fantastische Musik, die gibt, was zu fehlen schien. Oder vielleicht wirklich fehlte.

Sometree füllen jedenfalls Löcher. Der eigentliche Zauber entfaltet sich vor allem dann, wenn man anfängt zuzuhören, anstatt nur zu hören. Lange war mir nicht mehr die Wichtigkeit des Gesangs so bewusst wie hier. Sometree werden nie zu schnell, Druck und Tension bauen sie ganz anders auf. Eine leicht hinkende Trompete gesellt sich dann und wann hinzu und ich wusste, dass ich das schon immer so einmal hören wollte. Genau so habe ich das gebraucht, so und nicht anders. Dunkelheit, Tiefe, Traurigkeit, vielleicht auch einfach nur das wahre Gefühl, das jedem Menschen innewohnt, glaube ich vertont vor mir zu haben. Bei jedem Lied, an jeder Stelle. Sometree geben ihren Liedern die Luft zum Atmen, die einem selbst manchmal so misslich fehlt. Behutsam falten sie Melodie um Melodie, entlassen wieder einen etwas schnelleren Drumbeat und dann vielleicht nur ganz kurz eine zirpende Gitarre. Dazu trauert Sänger Bernd und man hört so verdammt intensiv, dass das alles ehrlich ist. Sometree heucheln nichts, lassen alle Fehler aus, die eine jede gute Band zu machen verdammt ist und schichten Schönheit an Schönheit, filigran und anmutend, dunkel und ernst.

Wie ist es möglich solche Brillianz und Songwriterkunst mit Reinheit zu verbinden, ohne dass der Beigeschmack von Mühe oder Anstrengung entsteht? "Hands & Arrows" fängt dich ein, "Idiotes" macht dir die Augen auf, "Soft Remarks" will dich wieder entlassen, doch du willst gar nicht mehr gehen. Ein jeder beginnt zu verstehen, einem jeden wird die Freiheit geschenkt, doch man merkt, wie gut man es vorher hatte. In all der Ahnungslosigkeit, in all der Sinnlosigkeit. Der Trick ist, seine Gefühle abzustellen doch das ist nach "Bending The Willow" nicht mehr möglich. Man bemerkt, dass jegliche Hörgewohnheit in eine andere Zeit gehört, dafür nun kein Platz mehr ist. Trivialität wird nach dem Genuss dieses Albums zur puren Folter für das Ohr und den Geist. Man will und kann nicht mehr Musik konsumieren. Man selbst wird eingefangen von der Musik der Gruppe, in Besitz genommen. Am Ende konsumiert dieses Album immer mich. Das kommt dabei raus. Da genügen auch nicht die letzten sieben Minuten Stille um mich wieder auszuspucken. Wahrhaft große Musik aus deutschem Lande. Wie schnell man doch auf die falschen Sachen anfängt, stolz zu sein.

Es ist immer schön Musik zu finden, bei der man weiß, dass sie einen noch sehr lange begleitet. Als Unterstützer, als Freund, als Untergrund, als Schulter, als Dach, als Säule, vielleicht sogar als Strick. Hat man sich Sometree anvertraut, so bleiben sie auch bei einem. Ich kenne zu diesem Zeitpunkt keine Vorgängerwerke der Band, wusste nicht, was mich erwartet, als ich sie das erste Mal einlegte. Es war wie ein Sprung in eiskaltes Wasser, einer von jenen Sprüngen, bei denen man sich gewiss ist, dass das Wasser min. 20° hat. Und dann fühlt es sich wie die sprichwörtlichen tausend Nadelstiche an. Und auch so wird es um einen herum plötzlich warm. Für immer.

Konstantin Kasakov

Finden


Bye-Bye



Am 5. Januar 2021 haben wir éclat eingestellt. Mehr Infos hierzu gibt es auf unserer Startseite!