Rezension

Small Wonder

Wendy


Highlights: Ball Lightning // Lost At Highway // Until I Open My Wings // Wind Let Loose
Genre: „Agnostic Gospel“ // „Stormy Pop“
Sounds Like: Grandaddy // Ugly Casanova // Told Slant // Bellows // Clem Snide // Sparklehorse // Windmill // Moonface

VÖ: 20.01.2014 (Import)

Es war irgendwann im Januar diesen Jahres, als einen zum ersten Mal dieser Junge vom Albumcover eindringlich mit seinen großen blauen Augen anschaute. Immer wieder stolperte man bei bandcamp über dieses Album, das rasch eine Welle begeisterter Kommentare nach sich zog – selbst gestandene Musikkenner ließen sich da zu fanatischen Kommentaren im Stile von „Dieses Album hat mein Leben verändert!“ hinreißen. Vielleicht sollte man der Sache also einmal nachgehen und selbst herausfinden, was sich hinter diesem eindrücklichen Albumcover verbirgt? So fand „Wendy“ von Small Wonder also seinen Platz auf der nicht enden wollenden Liste von Alben, bei denen man bei Gelegenheit einmal genauer reinhören sollte, und wartete auf seinen Augenblick der Aufmerksamkeit, seine Chance, sich aus dem Überangebot an täglich neu erscheinender Musik hervorzutun.

Seitdem ist nun fast ein Jahr vergangen. „Wendy“ hat mein Herz längst im Sturm erobert und gräbt sich mit jedem Hören tiefer in mir ein. Diese Musik scheint schon längst ein Teil meiner selbst geworden zu sein, die Barriere zwischen Künstler und Rezipient verschwimmt immer mehr. Handeln diese unglaublich persönlichen Songs nicht tatsächlich auch von mir, von dir, von uns allen?

Henry Crawford heißt der Mann, der sich hinter dieser Musik verbirgt. Seit einigen Jahren ist der in Brooklyn lebende Mittzwanziger mit Hornbrille und zotteligem Haar als Small Wonder aktiv, doch „Wendy“ ist wohl sein erstes wirklich kongruentes Stück Musik. Wie der Name bereits vermuten lässt, erzählt er hier seine ganz eigene Version der Peter-Pan-Geschichte, ohne sich dabei zu sehr in Einzelheiten zu verlieren. Peter Pan ist eher eine thematische Inspiration für „Wendy“ als seine eigentliche Geschichte. Lose und assoziativ sind die Zusammenhänge in Crawfords Texten, höchst intim und doch zugleich von solch universeller Wahrheit und Schönheit, dass es einen unmöglich kalt lassen kann.

Felix Walworth von Told Slant, der zum gemeinsamen Musikerkollektiv „The Epoch“ zählt, kommentiert in einem seiner Songs das Thema sehr leichtfertig so: „What’s so bad about growing up / if I’ll stay young for as long as I want to?“. Henry Crawford tut sich da nicht so leicht. Er zeichnet den Prozess des Erwachsenwerdens als eine schmerzliche, entbehrungsreiche, aber letztlich notwendige Reise nach und verleiht seinem Album eine mitreißende emotionale Dramaturgie. Die anfängliche Angst vor Veränderung und die kindlichen Selbstzweifel weichen rasch einer schon fast naiven Zuversicht und einem Gefühl der Befreiung. In der Mitte des Albums aber kippt die Stimmung, die Konfrontation mit dem Tod macht die Schmerzlichkeit des Verlusts spürbar und lässt sich stetig aufdrängende Gedanken der eigenen Vergänglichkeit aufkommen. Doch Crawford schafft es, seinen Protagonisten aus diesem Strudel zu ziehen und lässt ihn sich selbst wieder aufrichten. Kann das Leben nicht auch wunderschön sein? Wie einfach kann es sein, glücklich zu werden, wenn man nur zu schätzen lernt wie erfüllend das Gefühl ist, geliebt zu werden und selbst da zu sein für die Menschen, die man liebt! Zeit kann nicht nur Dinge zerstören, sie kann sie auch festigen.

„Wendy“ hat so viele Ebenen auf einmal, beleuchtet das eigene Ich und die komplexe Fragilität zwischenmenschlicher Beziehungen, verarbeitet Traumatisches, und hat dabei so viel zu geben – ist es da verwunderlich, dass man von diesem Album nicht mehr loskommt, dass sich jede Songzeile einbrennt, man jeden Ton lieben lernt und sich jedes noch so kleine Detail einverleibt?

Unglaublich feinfühlig inszeniert ist Henry Crawfords Werk, so wohlüberlegt und dabei unmittelbar berührend, dass einem viele Dinge erst mit der Zeit bewusst auffallen. Wie geschickt ist nur allein dieser Synthie-Einsatz von „Until I Open My Wings“, der Schlüsselstelle des Albums, der so unerwartet über einen hereinbricht und doch so perfekt die Stimmung des Textes einfängt? Jack Greenleaf von Sharpless, der sich für die Produktion verantwortlich zeigt, bringt genau das richtige Maß an Experimentierfreudigkeit mit, um dem vor allem mit Gitarre und Klavier ansonsten sehr schlicht instrumentierten Album die Vielschichtigkeit zu verleihen, nach der Crawfords Texte verlangen. Die beiden wissen dabei jedoch, dass die Songs von „Wendy“ zu zerbrechlich sind, als dass man sie zu sehr mit Effekten überfrachten dürfte.

Unter welchem Aspekt man es auch betrachten mag – was Small Wonder hier gelungen ist, ist in jeder Hinsicht ein Meisterwerk, wie man es vielleicht nur alle paar Jahre zu hören bekommt. So viel Herz und Musikalität stecken in diesen Songs, dazu der Mut, keinerlei Kompromisse einzugehen und Dinge anders zu machen als die anderen. Selten passiert es, dass eine musikalische Vision so perfekt auf einem Album festgehalten ist, wie es bei „Wendy“ der Fall ist. Wie könnte man nur Angst vor der Zukunft haben, wenn sie einem doch die Chance gibt, diese Songs noch viele weitere Male anhören zu können?

Kilian Braungart

Hören


Das gesamte Album im Stream

Finden


Bye-Bye



Am 5. Januar 2021 haben wir éclat eingestellt. Mehr Infos hierzu gibt es auf unserer Startseite!