Rezension

Sløtface

Sorry For The Late Reply


Highlights: Crying In Amsterdam // Static // Sink Or Swim
Genre: Pop-Punk
Sounds Like: Letters To Cleo // The Breeders // Dream Wife

VÖ: 31.01.2020

Pop-Punk scheint oft weit entfernt vom explizit politischen Zetern des wütenden Großvaters Punk. Sløtface zeigen auf ihrem zweiten Album wieder, dass sich zwischen den beiden Polen Pop und Punk etwas austarieren und ausdrücken lässt, was als Erkenntnis seit Jahrzehnten in der feministischen Theorie verankert ist: Das Persönliche ist politisch. Die Krisen der Zeit bleiben nicht brav vor der Haustür stehen und warten, bis man wieder auf die Straße geht. Sie springen einfach über den Schuhabtreter und sitzen in den Wohnungen und Köpfen der Menschen.

Dem tritt „Sorry For The Late Reply“ mit Spaß entgegen: Die Gitarren glitzern, das Schlagzeug treibt immer energisch weiter, auch wenn die Band mal das Tempo rausnimmt, und aus den Melodien spricht eine Dringlichkeit, die die Texte von Sängerin Haley Shea widerspiegeln. Ihren 90er-inspirierten Sound haben die Norweger im Vergleich zum Debütalbum „Try Not To Freak Out“ nachjustiert, sie klingen selbstsicherer, genauer. „Crying In Amsterdam“ lässt etwas aus der Hardcore-Vergangenheit mancher Bandmitglieder durchblitzen. Schon beim Gedanken an die Live-Umsetzung kommt man innerlich zum Tanzen. „Laughing At Funerals“ stellt den traurigen Geigen im Hintergrund eine groovende Bassgitarre gegenüber und gibt sich gegen Ende einem erlösenden Schrammel-Sturm hin. „Static“ ist ein Hit zum Mitsingen, der von Einsamkeit handelt und durch den man sich beim Hören weniger allein fühlt.

Sheas Ansatz, aus ihren persönlichen Erfahrungen das Politische herauszuarbeiten, geht voll auf. Die Texte sind nahbar, ohne erhobenen Zeigefinger, und fallen immer auf die Grenze zwischen Gesellschaftskritik und Selbstdurchleuchtung. Im Opener „S.U.C.C.E.S.S.“ arbeitet sie aus den Selbstverbesserungsslogans, wie man sie von amerikanischen Großevents oder deutschen Muskelrappern kennt, die perfiden Ansprüche heraus, die Außenseiter wie MigrantInnen erfüllen müssen, um akzeptiert zu werden. Das Thema Herkunft und Heimat greift Shea in „Passport“ erneut auf und fragt sich, ob sie – Tochter amerikanischer Eltern, in Norwegen aufgewachsen – durch ein Stück Papier definiert sein soll und kommt zum Schluss: „I‘m more than my passport but it‘s a part of me“. In „Sink Or Swim“ beschreibt sie ihre panische Ohnmacht angesichts der Klimakrise, die man wohl selbst nur zu gut kennt: „I agonize / But I don’t agonize enough / Keep seeing my grandchildren die / But I can’t seem to turn the lights off“.

Während Großvater Punk mittlerweile zahnlos vor sich hingrummelt, schaffen es Sløtface in spielerischen, aber durchdachten und trotz trockenem Witz immer ernstgemeinten Songs Biss zu zeigen. Die Band erfüllt mit „Sorry For The Late Reply“ jede Hoffnung, die man sich nach dem ersten Album machen konnte.

Marc Grimmer

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Lyric-Video zu "Sink Or Swim"
Lyric-Video zu "Stuff"

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