Rezension

Refused

Freedom


Highlights: Elektra // Dawkins Christ // Françafrique // War on the Palaces // Useless Europeans
Genre: (Post-)Hardcore // Punk // Rock
Sounds Like: At The Drive-In // Converge // Faith No More // Red Hot Chili Peppers

VÖ: 26.06.2015

„Wenn wir nur eine weitere Subkultur mit den passenden Attributen statt einer wirklichen Gegenkultur sind, dann wird es Zeit zu sterben und unsere Position neu zu überdenken. […] Wir wollen, dass jeder Tag und jedes Handeln eine Manifestation von Liebe, Freude, Verwirrung und Revolte sind. Mehr werden wir dazu nicht sagen. Wir werden nicht mit dummen Journalisten sprechen, die immer noch nicht verstanden haben, worum es bei uns geht, wir werden nie wieder zusammenspielen, und wir werden niemals versuchen, das Vergangene zu glorifizieren oder zu zelebrieren. Alles, was wir zu sagen haben, haben wir hier bereits gesagt oder mit unserer Musik/Manifesten/Texten und wenn das nicht genug ist, wirst du es wahrscheinlich eh nie kapieren […]

REFUSED ARE DEAD – LONG LIVE REFUSED“

Ein Manifest wie die Musik: aufmüpfig, aufrührerisch, eindringlich und nihilistisch. Zwischen diesen Worten, die Dennis Lyxzén im Jahr 1999 verfasste und den Festivalauftritten der Band im Jahr 2012, die den Mythos Refused – je nachdem, wen man fragt – auffrischte oder endgültig zerstörte, liegen 13 Jahre. Die Ereignisse, die im Jahr 1998 stattfanden und zu diesem Manifest führten, gingen nicht nur in die Annalen der Band-, sondern der Musikgeschichte ein. Mit „The Shape Of Punk To Come“ nahmen die Schweden ein Album auf, das im Grunde noch heute seiner Zeit voraus ist, um wenige Monate später bei einem symbolträchtigen Gig in Virginia das Ende der Band bekanntzugeben. Legendär wurde dieser Gig vor allem, weil es nicht die Band selbst, sondern die Polizei war, die der Hoffnung der Punkszene (nicht nur metaphorisch) den Stecker zog und den Gig und damit auch die Bandgeschichte beendete.

Heute, drei Jahre nach den Festivalauftritten und 17 Jahre nach dem immer noch mehr als zeitgeistigen Meilenstein und dem besagten Gig, steht eine neue Refused-Platte in den Regalen. Und trotz aller grundlegenden Vorfreude, bleibt ein Geschmäckle. Benötigt der Mythos Refused, der schon vor drei Jahren entgegen aller Kampfansagen des Manifestes angerührt wurde, wirklich eine Wiederbelebung? Egoistischerweise nicht. Doch die Hoffnung der Band, eine Initialzündung für andere Bands zu sein, griff nicht. Klar ist „The Shape Of Punk To Come“ ein Einfluss für eine ganze Generation Musiker nicht nur aus dem Hardcore- und Punk-Umfeld, doch die disruptive Kraft der Platte, das zukunftsweisende Experimentieren mit unterschiedlichen Genres wie Jazz, Funk und elektronischer Musik, dieses Erbe vermochte niemand weiterzutragen. Von der nicht veränderten politischen Lage ganz zu schweigen.

"Down in the dirt // 
Nothing has changed // 
The time has come // 
There’s no escape." 

Diese Zeilen wiederholt Lyxzén mantraartig auf der überraschend erschienenen ersten Single des Albums. Wir bekommen hier einen Eindruck von der Motivation, die die Band veranlasste, die Geschichte der Band zu riskieren und die vor 24 Jahren begonnene Mission weiterzuführen: Musik als Vehikel zum Widerstand. Und auch, wenn es nachvollziehbare Stimmen gibt, die der Band Ausverkauf vorwerfen (Festivals, Promo, Social Media), so hat man den Eindruck, dass hier einfach reifere Menschen am Werk sind. Menschen, die immer noch das gleiche Ziel verfolgen, die dieses Ziel jedoch rationaler und nachhaltiger verfolgen wollen. Subkultur mögen Refused nicht mehr, denn die (Musik-)Welt kann man mit geringer Reichweite nicht nachhaltig verändern – eine Erfahrung, von der Refused ein Lied singen können.

Und so ist „Freedom“ viel mehr, als man annehmen mag, ein einziger, riesiger Mittelfinger: in Richtung der Hater, in Richtung Kapitalismus, aber eben auch in Richtung des eigenen Mythos. Textlich behandeln Refused die Themen unserer Zeit (Flüchtlingspolitik, Bankenhoheit, westliche Ignoranz und den allgegenwärtigen Erzfeind Kapitalismus), die erschreckend kongruent zu den Themen auf „The Shape Of Punk To Come“ sind. Musikalisch nehmen sich Refused alle Freiheit, das zu tun, worauf sie Bock haben. Und das Ergebnis ist ein erstaunlich logisches Album, das den Prozess einer Band skizziert, den es ja tatsächlich nie gegeben hat. Das eben erwähnte „Elektra“ ist ein Brett, das nicht zuletzt an das zum Hardcore-Hit gewordene „New Noise“ erinnert. Die Genre-Experimente auf „The Shape Of Punk To Come“ sind auf „Freedom“ zu einem eigenen Stil gereift: funkige Stakkato-Riffs (Servants Of Death), eine Akustikgitarre (Old Friends/New War), Bläsersätze (War On The Palaces) und die erste Refused-Ballade (Useless Europeans). Das Ganze wird nur getoppt durch die auch bewusst kommunizierte Unterstützung des schwedischen Produzenten Shellblack („Elektra“ und „366“), der bereits Songs von Taylor Swift und Maroon 5 zu Hits machte.

All das ist ein konsequentes „Fuck You!“ in Richtung aller, die Besitz vom Vermächtnis einer Band ergreifen möchten, die ihnen nicht gehört. Wer hier Inkonsequenz spürt, der hat die Band nicht verstanden und wird sie nie verstehen. Eine Band, die es schafft, nahtlos an eine Platte anzuknüpfen, deren Unerreichbarkeit eine Armada aus Punk- und Hardcore-Bands verzweifeln ließ, die hat man nicht in Frage zu stellen.

REFUSED ARE FUCKING ALIVE. DEAL WITH IT!

Andreas Peters

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Video zur ersten Singleauskopplung "Elektra"

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