Rezension

Puscifer

V Is For Vagina


Highlights: Momma Sed // Vagina Mine // Rev 22'20 (Dry Martini Mix)
Genre: Electronic // Industrial
Sounds Like: Nine Inch Nails // Marilyn Manson // Massive Attack

VÖ: 26.10.2007

Los geht es mit den Dingen, die wir beim Hören dieses Albums erstmal vergessen sollen: Maynard James Keenan singt bei zwei Ausnahmebands, namentlich Tool und A Perfect Circle. Wo erstere gleichsam Progger und Jazzer zu begeistern pflegen und (bzw. auch weil sie) eine der technisch versiertesten Bands überhaupt sind, überraschten die schnell als Allstartruppe verschrienen A Perfect Circle doch paradoxerweise, indem sie es nicht wirklich taten. Denn obgleich hier noch andere große Egos der (gar nicht mal so) alternativen Musikszene ihren Senf zu Maynards Musikwurst dazugaben, schmeckte das Ganze doch ein wenig nach dessen Hauptband. Die Fans freuten sich dann einfach über eine leichter verdauliche Variante Tools, alle jene, die mit den Kaliforniern eh nie warm wurden, ließ wohl auch A Perfect Circle kalt. Either way, dass Maynard einer der markantesten und besten Rocksänger unserer Zeit ist, lässt sich auch von den Kritikern nur schwer bestreiten.

Eine ganz andere Baustelle sind nun Puscifer: Wo sich andere Sänger mit ihren Soloprojekten Spielwiesen schaffen, hat Maynard die Grunfläche mal eben einbetoniert und sich unter ihr einen rostigen Heizkeller eingerichtet. Weit davon entfernt, auch nur näherungsweise gemütlich zu sein und unter völliger Abschottung vom Tageslicht. Trotzdem sind zum Kaffeekränzchen mit Motoröl Gestalten erschienen, die sich hier ebenso wohl fühlen wie der Mann, der 1996 den Weltuntergang herbei sehnte: Danny Lohner, bekannt für seine Arbeit mit den Nine Inch Nails und Killing Joke sowie Brian “Lustmord“ Williams oder auch die Rythmusfraktion von Rage Against The Machine.

Um das Projekt nun ins Skurrile zu ziehen, hat sich Maynard - excuse me French – den Arsch derart weit aufgerissen, dass ein aufgespannter Regenschirm hineinpassen dürfte: Auf der Puscifer-Homepage wird an Merchandiseartikeln zwischen Hundehalsband und Dildoreisepaket so ziemlich alles verscherbelt, der Albumname könnte stumpfer und schlüpfriger kaum sein. Das im Stil einer Informationsbroschüre mit Sicherheitsanweisungen an Bord eines Flugzeugs gestaltete Booklet zeigt Menschen, die sich beim Druckverlust in der Kabine mit Gift selbst hinrichten, nachdem sie brav gebetet haben, damit sie auch ja in den Himmel kommen, während Jesus – gekreuzigt – das abstürzende Gefährt mit dem Fallschirm verlässt. Also mal wieder Maynards Lieblingsthema. Ob es sich hier nun um tiefschwarzen Humor oder provokanten Zynismus handelt – es sollte klar sein, dass es hier um Verwirrung und Verschleierung geht. Und vielleicht sogar um Ablenkung, denn haben wir schon ein Wort über die Musik verloren?

So spektakulär das auch alles klingt, ganz mithalten mag die Musik dabei nämlich nicht. Zappenduster ist „V Is For Vagina“ geworden, überraschend homogen noch dazu. Die stimmige Mischung aus jeder Menge schwerer Breakbeats, Industrialkeyboards, Synthies und ein paar Streichern aus der Dose wird nur ein wenig durch den modrigen Effektsumpf beschmutzt, in dem Maynard hier seine Stimme teilweise versteckt. Sind diese Stimmeffekte teils doch sehr clever und facettenreich eingesetzt (allen voran das an vokaler Experimentierfreude gar an Björk erinnernde „Queen B“), lassen sie Songs wie „Indigo Children“ zu zirpend-nervenden Elektronikklumpen verkümmern. Bezeichnenderweise bildet mit „Momma Sed“ gerade der Song den Albumhöhepunkt, der aus diesen Schemata komplett ausbricht. Nach trockenen Klampfen, einem seichten Beat und der allseits bekannten Teardrop-Gitarre hebt sich da ein sphärischer Klangteppich empor, der sich mit flächendeckendem Piano und durch ein weibliches Falsett unterstützt problemlos in Massive Attacks „1000th Window“ einschmiegen könnte. „Vagina Mine“ sei noch herausgestellt – bestechend mit dreckigem Fuzzbass, überraschendem Orgeleinsatz und Indianerchören - , ansonsten schlurfen Puscifer die meiste Zeit zäh, aber sicher im oben genannten Heizkeller umher. Richtig interessant wird’s dann noch einmal am Schluss: Im vergleichsweise völlig minimalistischen „Rev 22:20 (Dry Martini Mix)“ wird dann Jesus zum Lustmolch („Jesus is risen. It's no surprise. Even he would martyr his momma to ride to hell between those thighs“) und das Album angenehm ruhig und mit spärlichem Klavier beendet.

Dennoch: Über weite Strecken fehlt hier das Feingefühl für elektronische Klangcollagen, das beispielsweise Trent Reznor gepachtet und perfektioniert hat. Der hat mit „Year Zero“ in diesem Jahr übrigens auch gezeigt, dass ein gigantisches „Drumherum“ nicht zwingend über recht durchschnittliche Musik hinwegtäuschen, sondern ein qualtitativ herausragendes Album sogar noch unterstreichen kann. Auch „V Is For Vagina“ wird sehr viel Gehör finden - mehr, als das Album eigentlich verdient. Warum dies allerdings so sein wird, steht im ersten Absatz dieser Rezension.

Gordon Barnard

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