Rezension

Okkervil River

The Silver Gymnasium


Highlights: It Was My Season // Down Down the Deep River // White
Genre: Indie // Folk
Sounds Like: Port O'Brien // Shearwater // Bonnie 'Prince' Billy

VÖ: 27.09.2013

Mit ihrem siebten Studioalbum wechseln Okkervil River zum New Yorker Label ATO Records, auf dem ansonsten beispielsweise die Alabama Shakes, Midlake oder Two Gallants beheimatet sind. Und in Sachen Marketing legte sich das Label für „The Silver Gymnasium“ auch ganz schön ins Zeug. So wurde etwa als Dreingabe zum Album ein putziges 8-Bit-Videospiel entworfen, in dem der geneigte Fan in der Rolle des zehnjährigen Will Sheff, seines Zeichens Sänger von Okkervil River, durch dessen Heimatstadt Meriden wandern kann. Außerdem liegt physischen Kopien des Albums eine von William Schaff, dem langjährigen Visual Artist der Band – nicht verwandt und nicht verschwägert mit Will Sheff –, entworfene Karte dieses kleinen Städtchens in New Hampshire bei. Auf dieser ist, im Stile einer Schatzkarte, wie Kinder sie von ihrer Nachbarschaft anfertigen, vermerkt, wo die einzelnen Songs des Albums zu verorten sind.

Dies macht schon sehr deutlich, dass es sich bei „The Silver Gymnasium“ um ein autobiographisches Werk handelt. Dies mag verwundern, war Sheff doch bislang gerade für seine fantasievollen Geschichten und deren Charaktere wie etwa den verwunschenen Black Sheep Boy vom gleichnamigen 2005er-Album bekannt. Na gut, jetzt veröffentlicht dieser unglaubliche Typ und begnadete Songwriter mit Mitte dreißig ein biographisches Album über seine frühen Jahre – ein etwas verspätetes Coming-of-Age-Album also? In der Tat begreift Sheff das Album als eine Hommage an den Geist der Jugend und zielt darauf ab, das nostalgische Gefühl „einer Action-Figur, die du in den Wäldern gefunden hast“ – so seine eigenen Worte – aufzurufen. Und was soll man sagen, das wirkt keineswegs peinlich, sondern funktioniert bestens. Allzu passend, dass das Album neben dem digitalen Release, CD und Vinyl auch als Kassette erhältlich sein wird.

Die großen Themen sind die Erfahrung von Liebe und Verlust, das Schwelgen in Erinnerungen und das Bedauern. Diese werden in der selben süßlichen Bitterkeit, die auch schon die früheren Alben auszeichnete, dargeboten. Es geht um betrunkene Barkeeper mit gebrochenen Herzen, Autounfälle, Trailer Homes, Prostituierte und kontrollierende Erziehungsberechtigte. Es geht um komplizierte Freundschaften und verbotene Liebe – und hey, egal ob kompliziert oder verboten, Freundschaft und Liebe, das ist doch was! Eine glanzvolle Zeit, wenn auch die Erinnerungen vielleicht nicht gerade glamourös sind. Achtet man auf die Lyrics, fällt einem ein großer Konstrast auf: Diese sind nälich, typisch Okkervil River, eher düster, während das Album auf musikalischer Seite eines ihrer hellsten und – ja wirklich – fröhlichsten bislang ist. Das ist zwar einerseits irritierend, andererseits funktioniert das Album so auf verschiedenen Ebenen in ganz unterschiedlicher Weise. Der einzige Wermutstropfen ist vielleicht, dass Sheffs Gesang ein kleines bisschen die schmerzvolle Sehnsucht und das wehmütige Tremolo der früheren Alben abhanden gekommen ist – für ein „echtes“ Coming-of-Age-Album kommt „The Silver Gymnasium“ vielleicht doch etwas spät. Nichtsdestotrotz ist es das wohl beste Album seit „The Stage Names“ und wer weiß, was uns erwartet, wenn Will Sheff irgendwann als Pop-Rentner seine Erinnerungen an seine mittleren Dreißiger in ein Album gießt?

Christoph Herzog

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