Rezension

Nachlader

Koma Baby Lebt


Highlights: Soll/Haben // Hasch
Genre: Electroclash // Electropop // Hamburger Schule
Sounds Like: Mediengruppe Telekommander // DAF // Winson // Großstadtgeflüster

VÖ: 23.04.2010

Der geneigte Zeitgenosse mag sich vielleicht entsinnen: Auf dem Soundtrack zu FIFA 2005 fand sich schon ein Song der Berliner Band Nachlader. Das erste und bisher letzte Album „Bock auf Aphorismen“ des Bandprojekts von Daniel Baumann stammt ebenso aus dem Jahr 2005, fünf Jahre später folgt nun also ganz unverhofft der Nachfolger „Koma Baby Lebt!“.

Vor zuviel „Pommes und Disco“ warnt Herr Baumann alias Nachlader unter anderem und das aus gutem Grund: Einst wurde er wegen seiner adipösen Erscheinung von Mitschülern gehänselt. Glücklicherweise blieben diese Übeltaten ohne bleibende Schäden, sonst würde er wohl kaum so selbstbewusste Töne von sich geben. Wie der Oscar Wilde der Berliner-Großstadt Bohème posiert der Nachlader im goldenen Hemd und sinniert über eine dekadente Gesellschaft. Aber auch das Schießer-Feinripp-Unterhemd gepaart mit Jogginghose stünde ihm recht gut zu Gesicht, wenn er unverblümt den Proletarier vertritt oder von seinen irrwitzigen Erlebnissen erzählt, die er an den Orten sammelt, die er bereist. Das eine Mal geht es „hochfeines Hasch“-rauchend von Istanbul nach München (in „Hasch“), ein anderes Mal mit einer italienischen Fluglinie von Madrid nach Rom, wobei im Flugzeug „Bambinis“ nerven und er sich verständlicherweise lieber zu den „Bikinis“ am Strand wünscht (in „Air Italia“). Auch die ICE-Ausbaustrecke, Berlin – Hamburg, nutzt der Nachlader aber offensichtlich gerne, um dort auf der renommierten Schule Sozialkritisches und Gitarrenpop zu erlernen. Zum Zeitvertreib widmet er sich auf der Fahrt noch autodidaktisch der BWL, auch wenn sich das Gelernte in „Soll/Haben“ so ganz und gar nicht auf die eigenen Finanzen anwenden lassen will. Darin heißt es: „Warum muss ich immer Soll haben, obwohl ich Haben haben soll“ und genauso anmaßend wie überheblich schreibt es sich dieser Proll auf die Fahnen, damit den passenden Song zur Finanzkrise geschrieben zu haben, mit besten Grüßen an Herrn Schäuble und sein Team.

Inklusive neu besetzter Band, die den Berliner DJ Shokkaboy und Paula-Drummer Marco Barotti umfasst, klingt das Ergebnis amüsant, irgendwie sympathisch – kommt die Band doch ohne den Intellekt stiftenden Seitenscheitel der Hamburger Zunft aus – und vor allem tanzbar. Ganz viel eingängiger Electro-Pop, vorgetragen mit Keytar, Synthies und den fetten Beats des Shokkaboy, erschallt da und es erheitert ungemein. Die Stärken des Albums bedingen jedoch gleichzeitig seine Schwächen. Auf Dauer weicht der Eingängigkeit Langeweile, dem Electroclash eher Electrotrash, die frechen Texte wirken trotz Mitgröhlfaktor phasenweise leicht dümmlich und es würde nicht verwundern, wenn sich diverse Songs auf den nächsten Remmidemmi-Parties wiederfänden. Sehr, sehr ambivalent das Ganze. Alles in allem aber dann doch ein fettiges Plus mit Ketchup und Majo für ein insgesamt herrlich erfrischendes Album.

Achim Schlachter

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