Rezension

Mammal Hands

Captured Spirits


Highlights: Chaser // Spiral Stair // Riddle
Genre: Jazz // Folk // Neoklassik
Sounds Like: The Comet Is Coming // Portico Quartett // Go Go Penguin

VÖ: 11.09.2020

Mammal Hands kommen aus dem britischen Norwich, einer Stadt im Osten des Landes. So abgelegen Norwich geographisch ist, so wenig spiegelt sich dies in der Musik von Mammal Hands wider. Sie verbinden Jazz mit Neoklassik, Folk und Ambient, schaffen über ihre Referenzen globale musikalische Zwischenräume und perfektionieren die Fähigkeit die Zuhörenden in einen Trancezustand zu versetzen.

Trance bezeichnet ein intensives Erleben, das durch einen veränderten Bewusstseinszustand hervorgeht. Soweit muss man nicht gehen, um die Faszination der Band zu erkennen. Jedoch lädt der Sound von Mammal Hands dazu ein, einfach mal alle Störfaktoren um einen herum auszuschalten, die Augen zu schließen und nichts weiter zu tun, als die Musik auf sich wirken zu lassen. Und es ist ein berührendes Erlebnis durch und durch. Denn anders als sonst im Jazz üblich setzen sie nicht auf fulminante Solopräsentationen, sondern auf das Zusammenspiel. Der Schreibprozess der Tracks ist ein kollektives Unterfangen, das sich auch auf die Gruppendynamik auswirkt und charakteristisch für den Sound von Mammal Hands ist. Dabei setzen sie auf minimalistische Wiederholungen, welche Bezüge unter anderem zu Steve Reich oder Philip Glass vermitteln. Ihre Tracks sind dennoch komplex und sorgen für Überraschungen, kein Wunder also, dass ihre Referenzen bis hin zu Pharoah Sanders, Gétatchèw Mèkurya oder Sirishkumar Manji reichen.

Nachdem das Album mit dem filigranen „Ithaca“ eröffnet wird, setzen Mammal Hands das Tempo bei „Chaser“ deutlich höher an. Vor dem inneren Auge spielen sich Bilder von Großstädten ab: gehetzte Menschen, die gerade noch so die Bahn bekommen oder schon wieder zu spät sind. Anfänglich gezeichnet durch Klavier, setzen nacheinander rhythmische Drums ein und ein sphärisches Saxophon, das mehr in Bögen als einzelnen Noten ausgelegt ist. Sie bauen sich auf, schwellen an und lösen die Anspannung wieder, bis nach knappen vier Minuten plötzlich Stille ist. Ruhige Saxophonklänge tragen einen hinüber in „Late Bloomer“, bevor das meditative „Versus Shapes“ mit dem charakteristischen Tablaklang den Einfluss aus Indien aufzeigt. Nun hat man fast das Gefühl, in einem alten Kahn zu liegen, das Wasser schwappt dagegen und die Sonne ist etwas zu heiß – so meint man die Melodie zu deuten. Die späteren Tracks „Riddle“ oder „Rhizom“ bezeugen die Fähigkeit der Band, auch komplexe Arrangements umzusetzen und der Raum um einen herum füllt sich wahrlich mit Euphorie.

„Musik hat das Zeug, so viele Räume in unserem Leben zu füllen“, findet Jordan Smart, der Saxophonist der Band, „und ich glaube, dass sie im Grunde genommen sogar eine viel direktere Art der Kommunikation ist als die Sprache. So gesehen kann sie ein Zufluchtsort sein, sie kann eine soziale Komponente haben, etwas offenbaren, an Vergangenes erinnern… Sie kann immer das sein, was wir im jeweiligen Moment gerade brauchen.“ Treffender kann man es wohl nicht ausdrücken, sondern sich nur über den Zufluchtsort freuen, den Mammal Hands mit „Captured Spirits“ erschaffen und der es einem ermöglicht, von dem Hier und Jetzt in eine globale Sphäre einzutreten.

Lina Niebling

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