Rezension

Legend Of The Seagullmen

Legend Of The Seagullmen


Highlights: Shipswreck // The Orca // Rise Of The Giant
Genre: Psychedelic Rock // Heavy Metal
Sounds Like: Mastodon // Primus // Black Sabbath

VÖ: 09.02.2018

Brent Hinds sitzt der Schalk im Nacken. Als Gitarrist und Sänger ist er bei Mastodon zwar für halsbrecherische Gitarrensoli und knurrigen Weltuntergangs-Gesang zu existenzialistischen Metal-Epen verantwortlich, im Herzen ist der rotbärtige, gesichtstätowierte US-Amerikaner aber ein Clown vor dem Herrn, der als Football-Spieler verkleidet auf die Grammy-Verleihung geht, als Nebenprojekte eine schrille Surfrock-Band und eine Allstar-Truppe namens Giraffe Tongue Orchestra pflegt und völlig bekloppte Werbevideos für Gitarrenverstärker macht. Weil allein Clownsein auf Dauer eben auch mal langweilig wird, hat Hinds nun mit Gleichgesinnten einen eigenen Zirkus gegründet – Legend Of The Seagullmen.

Die Gleichgesinnten, das sind der einem guten Lacher auch nicht gerade abgeneigte Danny Carey von Tool am Schlagzeug, „Jonah Hex“-Regisseur Jimmy Hayward an der Gitarre, Peter Griffin von Zappa meets Zappa am Bass, Chris DiGiovannian am Synthesizer und David „The Doctor“ Dreyer am Gesang. Zusammen vertonen die sechs verdingten Musiker auf dem selbstbetitelten Debütalbum einen schrägen Mythos um rockende Seeräuber und mystische Meeresungeheuer, den sich Dreyer und seine Brüder ausgedacht haben. Wem das jetzt schon zu viel Konzept und irgendwie zu albern ist, der liest besser gar nicht weiter.

„Legend Of The Seagullmen“ steht in vielerlei Hinsicht in der Tradition der guten alten Rockoper – mit allem, was man daran lieben und hassen kann: Überspezifische Erzähl-Lyrics, cheesige Spoken-Word-Passagen, abgefahrene (und doch immer leicht unzusammenhängende) narrative Fäden, aufdringliches Lokalkolorit (hier: Seemannschöre, Möwenschreie und Sturmbrausen) – alles da! Über weite Strecken klingt das Album, als habe jemand „Fluch der Karibik“ in Metal-Riffs gegossen. Allerdings – und hier zeigt „Legend Of The Seagullmen“ seine Qualitäten – wurden vorher Johnny Depp und alle Disney-Funktionäre gefeuert, jeder Gedanke an Familienunterhaltung verworfen und mindestens fünf Fässer Rum angestochen.

So albern die Idee eines Metal-Piratenmusicals auch sein mag und so grenzkitschig sich die Umsetzung in manchen Momenten (etwa in der Freibeuter-Legenden-Ballade „Curse Of The Red Tide“) anhört, so hoch muss man Dreyer, Hinds, Carey und Co. anrechnen, dass sie ihr Ziel mit bemerkenswerter Leidenschaft, Ernsthaftigkeit und songwriterischem Können verfolgen. „Legend Of The Seagullmen“ verweigert sich augenzwinkerndem Schunkel-Metal und setzt auf geschmackssicheren, klassischen Hardrock und Metal. Stimmungsmäßig reichen viele Songs mit dabei an die überwältigende Gravitas heran, die Mastodon auf ihren früheren Alben auszeichnete, wenn sie auch nicht deren tonnenschweres Riff-Gewicht erreichen. Tracks wie „Shipswreck“ und „Rise Of The Giant“ sind voller düsterer Dramatik und verbinden das Stichwort „Piratenleben“ eindeutig mehr mit Nebel, Skorbut und im Sturm splitternden Planken als mit plappernden Papageien, Saufgelagen und schicken Sonnenuntergängen.

Zugleich ist immer spürbar, dass sich Legend Of The Seagullmen selbst nicht allzu ernst nehmen und sich jederzeit bewusst sind, dass sie mit diesem Album auf einer schmalen Planke wandeln. So wird das epische, mit krachenden Soundwänden gestaltete Narrativ immer wieder von den genannten Rockoper-Elementen durchbrochen, was man durchaus störend finden kann. Auch eine punkige Hardrock-Nummer wie der Titeltrack ist offensichtlich mehr überdrehter Quatsch als stimmungsvolle Erzählung. Genau in diesem scheinbaren Gegensatz liegt aber der Reiz von „Legend Of The Seagullmen“. Wer sich darauf einlassen kann, bekommt ein Album, das sich für seine eigene alberne Prämise nie schämt und gerade deshalb eine stellenweise wirklich mitreißende Erfahrung bietet.

David Albus

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