Rezension

Kinderzimmer Productions

Asphalt


Highlights: Kickstart mein Hirn Boom Box mein Herz // Geh kaputt // Codecs // &on&on&on&on
Genre: HipHop
Sounds Like: Dendemann // Toni L // Samy Deluxe // Eins Zwo // Doppelkopf // 5 Sterne Deluxe // Minute // Fischmob

VÖ: 22.06.2007

Deutscher Hip Hop befindet sich in einer Sackgasse, so erscheint es. Seit einigen Jahren fokussiert sich die Aufmerksamkeit auf Aggro-Porno-Stumpfsinn-Rapper aus Berlin und die vier fantastischen Sprechgesang-Popper. So geht dann nicht nur ein wirklich gutes Album wie Minutes „Alles wird anders“ unter, sondern selbst Toni L oder Nico Suave & Friends bekommen nur geringe Aufmerksamkeit.

Die Hoffnung des letzten Jahres hieß Dendemann, und der hat seinen Anteil geleistet. Im dreizehnten Jahr Hoffnungsträger und zudem Helden fast messianischer Ausmaße für diejenigen, die im deutschen HipHop mehr sehen als das, was ist, das sind Kinderzimmer Productions. So lässt sich zum sechsten Album „Asphalt“ mit dem ersten sagen „Back, what you’re looking for the same thing“. Henrik von Holtum – diplomierter Kontrabassist mit alter Ego Textor – und Kinderzimmergenosse Dipl.-Ing. Sascha Klammt – aka DJ Quasi Modo – machen 2007 da weiter, wo sie 2004 mit „Irgendjemand Muss Doch“ aufgehört haben. Anspruchsvolle, intelligente Lyrics und ein Beat-, Bass- und Sample-Gerüst, das ebenso an Jazz und Funk geschult ist, wie es die US-Acts The Roots und De La Soul zitiert. Jenseits von Szenedenken, Coolness oder Realness, jenseits der eingefahrenen Muster liefern die beiden mit „Asphalt“ ihr bestes Album seit „Die hohe Kunst der tiefen Schläge“ ab.

Vielleicht befreit vom Druck des Majors ein Hit-, Pop- oder Hype-kompatibles Werk vorzulegen, vielleicht nur, weil HipHop aus deutschen Landen ansonsten in seiner präsenten Variante nicht ernst zu nehmen ist, zündet und fesselt „Asphalt“ ab den ersten Takten des jazzigen „Intro“s. Wie immer in ihren besten Momenten fällt es dem Hörer schwer, die einzelnen Teile von Kinderzimmer-Tracks fest wahrzunehmen, er schweift von Raps zu darunter gelegten Samples, Melodiefetzen, Breaks, Beats und Bässen und zurück zu den Texten. Wo Rap aus Berlin weniger Musik als Performance ist, zeugt „Asphalt“ von einer unverschämten und umwerfenden musikalischen Schulung. Dabei ist ein zentraler Bestandteil die Orientierung an Jazz- und Funk-Samples, bzw. ein jazzorientierter Ansatz, der selbst aus Samples moderner Klassik und anderer Genres immer einen funky und jazzy Klang zaubert. Besondere Beachtung in dieser Hinsicht verdient sicherlich „Kickstart mein Hirn Boom Box mein Herz“.

Der Hit des Albums ist allerdings „Das T“. Textors Raps fließen wie ein wilder Gebirgsbach und Quasi Modo legt dem Wasser Steine in den Weg, die überflossen, umschifft oder weggespült werden wollen. Anders als auf den Vorgängern zielt kein Track auf den Tanzflur. Im Gegenteil hört sich die Musik am besten über Kopfhörer oder genussvoll live. Wo „T“ stolpert, kommt „Kickstart“ als unüberwindbarer Hindernisparcour, grandios. Aber anstrengend. So folgt „Will fulfill“ als Erholung, die Musik ist eine Einheit, die einhüllt. „Sind sie da?“ führt das fort, bevor „Geh Kaputt“ den Sprachwitz auf die Spitze treibt und kollektive Gefühle der Großstadt in Musik gießt. „Codecs“ ist so real, so deep, so true, so unglaublich funky, da halten die Produktionen aus dem Jugendzimmer mit Femi Kuti mit, und nicht nur mit dem. Zurückgelehnt bereitet „Die Stadt die es nicht gibt“ auf das Ende vor, ein synthetischer, wechselwarmer … genau Funk.

Die Funkyness verbindet das Kinderzimmer mit den Helden amerikanischen Oldskool-HipHops, so bezeichnet „Asphalt“ im Kinderzimmer-Sprech passender Weise „Tracks […], wie sie Run D.M.C. oder Gang Starr gemacht hatten: rau, hart, schön, analog, funky.“ Eine selbst erfüllende Prophezeiung, sozusagen.

… ach so, dass Henrik von Holtum jetzt in Berlin lebt, kann nur als Aufmunterung an alle gemeint sein, die ihre Hoffnung, was diese Stadt anbetrifft, schon hatten fahren lassen.

Oliver Bothe

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