Rezension

Interpol

Interpol


Highlights: Lights // Barricade // Safe Without // Try It On
Genre: Post-Punk // Indie
Sounds Like: Joy Division // Editors // White Lies // I Love You But I've Chosen Darkness

VÖ: 10.09.2010

Ist es nicht verflucht beliebig, dasselbe Interpretationsfundament für jede Rezension des neuen Interpol-Albums zu lesen? Herrgott, ja: Bassist Carlos D. ist Exzentriker, umwerfender Musiker, vielleicht sogar genial. Und jetzt kündigt er bei Interpol. Schade, klar. Aber noch lange kein Grund, das nicht ohne Grund selbstbetitelte Neuwerk einzig und allein unter diesem Stern der Bedeutung auszuschlachten. Deswegen nur kurz: Natürlich wird man eigenwillige Basslinien wie in „Barricade“ oder damals „Evil“ vermissen. Aber ruhig Blut: „Interpol“ ist bei weitem mehr als nur ein Abschiedsalbum.

Als Band aus Geisteswissenschaftlern werden Interpol wohl auch kaum die Wahl des Albumcovers der Willkür überlassen haben. Wo auf „Our Love To Admire“ noch eine Gazelle dran glauben musste, gibt sich das Artwork zum neuen Album mit seinem bröckelnden Gebilde wesentlich abstrakter. Heraushören kann das, wer will. Viel auf „Interpol“ passiert ganz tief unten, im Duster des Unterbewussten. Und die Stimmungspalette wächst: Wo ein verspielter Piano-Loop auf Gruppengepfeife und Paul Banks weiter verdüsterte Stimme trifft („Try It On“), wagen sich Interpol auf Neuland. Häufiger als zuvor fußen die Songs der Band auf Ideen, die sie so konkret nie hatten und gipfeln in Klangflächen, die sie sich früher nicht hätten ausmalen können. Siehe loungige Jazzklaviere, locker aus dem Handgelenk („Summer Well“) oder auch Beats der schwerfälligeren Gangart („Safe Without“).

Wundervoll dazu, wie hier mit Alan Moulder der Haus- und Hofproduzent der Finsternis die Regler dreht. Denn: Allein die Entscheidung, Paul Banks' Gesang weiter an die Oberfläche zu zerren, verfinstert Interpols Sound um einige Nuancen, eine gewisse Schwere im neuen Sound würzt entsprechend nach. Gut passt's, dass in Moulders Katalog an Referenzen nach Nine Inch Nails, The Cure oder Smashing Pumpkins eben nun auch Interpol auftauchen. Große Namen, doch Interpol bemühen sich, dranzubleiben: Die bewegen sich. Gerade ab der Mitte hebt „Interpol“ sein Fundament im Diesseitigen aus und schwebt fast wie ein Luftballon Richtung verborgener Sphären. Die offensichtlichen Hits weichen, lediglich auf „Barricade“ mit seinem frontalen Beat und bandtypischen Melodien richten Interpol den Scheinwerfer – indem sie den Song zwischen dem verzweifelt einsamen „Lights“ und dem drohend düsteren „Always Malaise“ einbetten.

„Interpol“ saugt dich in ein tiefes, schwarzes Loch und definiert dabei die Band um. Fahren wir so nicht doch die Schiene Richtung Endbahnhof Abschiedsalbum? Nun, Wehmut über Carlos Denglers Weggang spürt man in Zukunft vielleicht vor der Bühne, nicht aber beim vierten Interpol-Album. Denn viel zu geschickt versteht es die Band, an den Spielregeln des eigenen Sounds herumzudoktorn. Und das war ja wohl alles, aber nicht erwartbar.

Gordon Barnard

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