Rezension

Human Abfall

Form Und Zweck


Highlights: Montags // Es Ist Wie Es Ist // Neu Leben // Q: Wo ist Franz? A: Im Dschihad.
Genre: "Deutscher Betroffenheitspunk"
Sounds Like: Die Nerven // Karies // Die Goldenen Zitronen

VÖ: 29.04.2016

"Form Und Zweck", so heißt das zweite Album der Stuttgarter von Human Abfall. Während der Titel an die Bauhaus-Philosophie "form follows function" erinnert, stellt sich beim Anhören gleich die Frage, welche Form hier eigentlich gewählt wurde und welchem Zweck sie folgt. Der Zweck: Kritik äußern. Kritik an der Gesellschaft, am Individuum, ja, sogar an der Liebe. Flávio Bacon kritisiert auf Albumlänge alles, was ihm in den Weg kommt. Vor allem über den Umgang mit Geflüchteten, den Zerfall der Demokratie – im Allgemeinen gibt es viel über humanitäre Krisen und menschliche Katastrophen zu sagen.

Die Form: deutscher Betroffenheitspunk, wie Flávio selbst das Genre um ihn und den Stuttgarter Dunstkreis gerne mal bezeichnet. Im Falle von Human Abfall kommt zum Postpunk noch der Dadaismus dazu. Passend zum 100-jährigen Dada-Jubiläum 2016. Die Anti-Kunst äußert sich nicht nur in gebrochenen Melodien und kurzen Songs, wie man sie vom Punk kennt, sondern vor allem in Flávio Bacons Gesang. Der kommt repetitiv und abgehackt vorgetragen daher, in ordentlichem Beamtendeutsch, so heißt es. Teils wiederholt sich nur ein Satz in unterschiedlicher Betonung über einen ganzen Song, andererorts werden Worte, die Flávio Bacon wichtig erscheinen, in Dauerschleife wiederholt. Das soll nicht wütend klingen, manche Dinge müssen eben "10 Mal gesagt werden, um beim Rezeptor anzukommen", so Bacon.

Während Flávio Bacon sich um die Texte und den Gesang kümmert, bedient JFR Moon Bass und Synthesizer, Ringo Stelzl die Gitarre und Bronko Schwarz sitzt an den Drums und sorgt für die Effekte. Unklar ist, wie genau die Songs entstehen und wer zu welchen Teilen daran beteiligt ist. In manchen Interviews äußert Flávio Bacon, dass das eigentlich alles nur er sei, in anderen, dass die Songs durch Loops und Jams im Proberaum entstehen. Klar ist aber, dass vor allem der Sprechgesang und die Absurdität der Texte das Herausstellungsmerkmal der Band sind.

"Montags" wendet sich an die "Täter-Enkel", die scheinbar die Fehler ihrer Vorfahren geradezu zu wiederholen scheinen, wenn sie in Dresden und an anderen Orten menschenverachtende Parolen ausrufen. "Neu Leben" klingt wie ein erpresserischer Durchruf einer irren Bande, die ein Publikum in ihrer Gewalt hat, wenn Flávio Bacon seine Befehle ausschreit: "Also tanzt! Um euer Leben! Für euer Leben! Also tanzt!" Die Gitarre klingt dazu mal zerhackstückt, mal zuckend, das Schlagzeug lethargisch.

"Aber du schaust mich die ganze Zeit nur an wie ein Haus mit Hypothek. Schau doch ein einziges Mal scharf, wie ´ne AK-47!" fordert Flávio Bacon in "Q: Wo ist Franz? A: Im Dschihad." sein Gegenüber auf. Der Text zeigt viel irren Wortwitz, aber was dahinter stecken soll, muss man erstmal im Pressetext nachlesen: "Das Stück beschreibt die Fanatisierung eines Außenseiters und Losers hin zu radikalisiertem Islam. Franz ist nicht die hellste Kerze am Baum, ohne greifbare familiäre Identifikationsfiguren, und ist sich der geringen Möglichkeiten und der Sackgasse bewusst, die sein Leben zu bieten haben."

Das Album braucht erstmal drei Songs, um überhaupt in Fahrt zu kommen. "Montags" und "Es Ist, Wie Es Ist" gehen nach vorn, bieten mitreißende Melodien. Die Texte und der Gesang bleiben, Human-Abfall-typisch, monoton und desilliusioniert. Insgesamt hätte das Album etwas mehr "Schmackes" vertragen können. Während der Vorgänger "Tanztee Von Unten" abwechslungsreich und oft auch noch skurriler ist, ist "Form und Zweck" auf lange Strecken todernst. Ein wenig mehr Abwechslung bei den Themen der Texte und Melodien hätte in jedem Fall gut getan. Aber vielleicht haben sie mit "Tanztee Von Unten" auch die Messlatte zu hoch gelegt. Die Crux des zweiten Albums eben.

Marlena Julia Dorniak

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