Rezension

Friedrich Liechtenstein

Bad Gastein


Highlights: Kommissar D'Amour // Belgique, Belgique // Take It With Me
Genre: Chanson // Disco // Electropop
Sounds Like: Jacques Palminger // Helge Schneider // Falco

VÖ: 17.10.2014

Wahnsinn: Nicht mal ein Jahr ist es her, dass Edekas „Supergeil“-Werbespot rauf und runter geklickt wurde. Wir erinnern uns dunkel an den sympathischen Rauschebartmann an der Supermarktkasse, der uns all die Waren anpries, und verneigen uns ein letztes Mal in Gedenken an so viel Lässigkeit. Mehr als eine ganze Epoche scheint seitdem vergangen zu sein, dabei sind es nur acht Monate. Der Rauschebartmann, der eigentlich Friedrich Liechtenstein heißt, ist längst von anderen Internet-Berühmtheiten abgelöst worden. So lässig sein Auftritt war, so gewinnbringend war die ganze Aktion am Ende vor allem für Edeka selbst. Die hochauflösende Warenwelt war kein Augenzwinkern, sondern Kalkül. Und sonst? Deutschland ist Weltmeister und der Islamische Staat dominiert die Schlagzeilen.

Liechtenstein hat nach eigenen Angaben kaum Geld für seinen Auftritt bekommen. Wobei nicht jedes Wort von Friedrich Liechtenstein den Weg auf die Goldwaage finden sollte. Mag sein, dass ihm die Aufmerksamkeit im Frühjahr ein paar Euronen eingebracht hat. Zu gönnen wäre es ihm, dem Künstler, der seit Jahrzehnten durch die Gegend turnt und die unterschiedlichsten Theater-, Film- und Musikprojekte realisiert hat. Vor allem für seine Musik wird sich Liechtenstein ein kleines bisschen der Aufmerksamkeit erhoffen, die dem Video für den Lebensmittelhändler zuteil wurde. Denn die ist so ganz anders als der filmische Hochglanzprospekt. Liechtensteins Musik ist mehrschichtig, manchmal rätselhaft und kommt von Herzen.

„Bad Gastein“ heißt das 2014er Album, das jüngst auch physisch veröffentlicht wurde und wie ein halbes Konzeptwerk daherkommt. Der Auftakt mit dem italienischen Monolog einer Frau und mehreren Streichern signalisiert eine romantische Ernsthaftigkeit, ehe „Goldberg & Hirsch“ die Platte mit einem Augenzwinkern schnurstracks in Richtung Dancefloor zerrt. Autotuning, Polizeisirenen – ganz schön albern. Zwei grundverschiedene Opener, wenn man so will, für das eigentliche Album, das mit „Das Badeschloss“ beginnt. Prosa, mal erzählt, dann wieder gesungen, auf Deutsch, Englisch, Französisch. Schwierig ist es, einen roten Faden zu finden. Schon da deutet sich an: „Bad Gastein“ ist eher ein Kunstwerk als ein Musikalbum – zumindest in großen Teilen. Sonst wäre eine Nummer wie „Elevator Girl“, eine 70er-Disco-Retro-Nummer mit Uralt-Synthesizerklängen, auch kaum zu ertragen.

„Kommissar D'Amour“ ist ähnlich, kippt aber im Gegensatz zu „Elevator Girl“ nicht. Der Song wandelt auf den Spuren des späten Chansons, ist ein wenig dadaistisch, im besten Sinne aber beseelt. Das folgende „Belgique, Belgique“ erinnert musikalisch an Falco. Textlich ist es das stärkste Stück. Liechtenstein erzählt darin eine Fake-Biografie, arbeitet mit vielen Referenzen, springt einmal mehr zwischen den Sprachen. Dennoch – und das ist die Leistung – entspannt sich vor dem inneren Auge sehr bildlich die ganze skurrile Geschichte. Kostprobe gefällig? „An einem Abend wie diesem machte ich eine merkwürdige Bewegung... argh... und starb. Aber das war nicht schlimm. Ich machte Platz für mein zweites Ich. Und das war nicht Delfin-Mann. Das war Elevator-Man.“

Gegen Ende wird „Bad Gastein“ übrigens dann doch noch zu einem „richtigen“ Musikalbum. Liechtenstein konzentriert sich auf die englische Sprache und singt ein paar weitaus klassischere Balladen – Coverversionen. Das funktioniert vor allem in der todtraurigen wie grandiosen Tom-Waits-Nummer „Take It With Me“ hervorragend. Weiter weg von Edeka geht’s nicht.

Mischa Karth

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Das Badeschloss (Made For The Future)
Belgique, Belgique

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