Rezension

Flying Lotus

Until The Quiet Comes


Highlights: Tiny Tortures // Sultans Request // Hunger
Genre: Free Jazz // Electronica
Sounds Like: Daedelus // Prefuse-73 // Boards Of Canada // Hudson Mohawke

VÖ: 28.09.2012

Steven Ellison aka Flying Lotus nimmt uns auf seinem neuen Album mit auf eine Reise durch die Nacht – allerdings keineswegs durch das nächtlich-taumelnde Los Angeles, sondern in gänzlich andere Sphären, dazu jedoch später mehr.

Der heute 28jährige hat bereits jetzt schon Musikgeschichte geschrieben. Sein Album „Los Angeles“, das vor vier Jahren bei Warp Records erschien, war schon so etwas wie ein Lichtblick für Freunde der elektronischen Klänge und deutete in etwa an, wohin die Reise des Steven Ellison gehen soll. Dass dieser zur Bewusstseinserweiterung mittels Musik mehr als prädestiniert ist, steht außer Frage, so ist sein Großonkel doch jener John Coltrane, der für die Entwicklung des Free Jazz so bedeutend ist wie nur wenige andere.

Die großen Themen von „Until The Quiet Comes“ sind der Traum und die seltsamen zwischenbewussten Zustände, in denen wir uns des Nachts befinden. Ellison selbst sagt, er hatte beim Komponieren der Tracks unter anderem einen kleinen Jungen im Sinn gehabt, der „nachts in einer Badewanne durch die Stadt fliegt”. Wäre Peterchens Mondfahrt eine Erzählung des 21. Jahrhunderts, so wäre dieses Album der perfekte Soundtrack dazu. Der Sound ist weniger abstrakt als noch auf dem überbordenden Vorgängeralbum „Cosmogramma“, er wirkt homogener, jedoch alles andere als einlullend. Gerade rechtzeitig, wenn der Hörer sich an eine Basslinie oder einen Beat zu gewöhnen beginnt, lässt ein gezielter Rhythmuswechsel den Somnambulisten zusammenzucken. Sleep Twitch in stereo. So etwa bei „The Nightcaller“, wo sich mitten im Track die Struktur um 180° dreht und aus einem sich steigernden Synth-Stakkato ein groovender Bass wird. Extreme Breaks wie hier sind ansonsten auf „Until The Quiet Comes“ eher selten zu finden. Wo das Vorgängeralbum noch eher mit einer Explosion gleichzusetzen war, die Energie aus ihrem Zentrum herausschleudert, ist dieses eher introvertierte Album vielleicht der Ausdruck einer Implosion. Der dunkle Sog zieht musikalische Materie aus allen Ecken des Universums hinein in dieses Gewebe, wo sie sich zu etwas vollends Neuem verbindet. Die auffälligste Struktur ist ein aufgeregtes Flackern, allerdings beeindruckt etwa „Sultans Request“ mit knarzigen Flächen, die noch am ehesten an die HipHop-Wurzeln von Flying Lotus erinnern.

Wie schon auf dem letzten Album finden sich einige erlesene Gastauftritte. So unterstützt Bassisten-Wunderkind Stephen „Thundercat“ Bruner einige der 18 Songs und auch Thom Yorke von Radiohead ist wieder mit von der Partie. Der Sänger von Steven Ellisons Liebslingsband steuert die Lyrics zu „Electric Candyman“ bei und wirkt dabei wie eine musikalische Replik des Mondmanns, um im Bild von Peterchens Mondfahrt zu bleiben. Der Wiener Dorian Concept und die Grande Dame des Soul, Erykah Badu, featuret FlyLo zum ersten Mal. Auffällig ist besonders, wie sehr selbst die großen Namen in den Hintergrund treten und dadurch die Tracks als solche wirken. Das erinnert schon fast an moderne Literatur, in der das Werk als losgelöst vom Autor betrachtet wird – bei der smoothen Homogenität von „Until The Quiet Comes“ könnte man auch fast denken, die Tracks schrieben sich selbst.

Passend dazu steht auch Ellisons Aussage, er komponiere seine Alben stets wie Erzählungen, mit einem Anfang, einem Mittelteil und einem Ende. Und dann kommt die Stille. Hier ist die Reise vorerst zu Ende, aber bestimmt nicht für lange, denn man ist versucht, sofort wieder zum Anfang zu skippen.

Christoph Herzog

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