Rezension

EMA

Past Life Martyred Saints


Highlights: California // Milkman // Breakfast
Genre: Indie Rock // Folk // Singer-Songwriter // Experimental
Sounds Like: Sonic Youth // Cat Power // Mount Eerie // Gowns

VÖ: 03.06.2011

„I'm just 22 / I don't mind dying.“ Nach 2:34 im Song „California“ rückt Erika M. Anderson mit der ungemütlichen Wahrheit heraus. Und während nun bei jedem unvorbereiteten Musikhörer der Plattitüdenalarm aufheulen sollte, darf schnell Entwarnung gegeben werden: „Past Life Martyred Saints“ ist kein effektheischender Striptease, sondern ein abgrundtiefes und zerbrechliches Album. Doch alles der Reihe nach.

Eigentlich stammt Erika M. Anderson (EMA) aus South Dakota, allerdings ist sie mit 18 nach Los Angeles gezogen, weil sie der von Axl Rose in „Welcome To The Jungle“ gelebte (Alb)traum nicht mehr losließ. Seitdem ist experimentelle Noisemusik ihr Fixpunkt. Nachdem sie in den angesehenen Underground-Bands Amps For Christ und Gowns Gitarre gespielt hat, folgt nun das Soloalbum. Und das ist verdammt ambitioniert. Bereits der Opener „Grey Ship“ macht dies unmissverständlich: Ein überlanger Kratzbrocken, welcher ab der dritten Minute akustische Gitarren in brodelnde, dunkle Stürme verwandelt. Nicht unbedingt mundgerecht zubereitet oder ohrwurmverdächtig, dafür allerdings umso atmosphärischer und hypnotisierender.

Der bereits erwähnte Nachfolger „California“ ist, unterlegt von brummenden Drone-Gitarren, ein Säureanschlag gegen die oft gefeierte kalifornische Sorglosigkeit und erinnert an einen Popsong von Kim Gordon, hätte diese denn einen solchen verfasst. So findet man auf „Past Life Martyred Saints“ immer wieder Anklänge an die abenteuerlustigere Musik der letzten Jahrzehnte. „Anteroom“ könnte eine verworfene Cat-Power-Demo sein, während „Milkman“ die noisige Tanzmusik der Neunziger zitiert.

Doch schlussendlich ist EMA mehr als die Summe dieser einzelnen Teile. Obwohl sich Anderson hinter einem Akronym versteckt, ist „Past Life Martyred Saints“ doch zu jeder Zeit ein höchst persönliches, individuelles und, um den häufig missbrauchten Ausdruck zu benutzen, authentisches Album. Besonders textlich ist das Album entblößend ehrlich: Wenn Anderson auf „Marked“ mit kaputter Stimme „I wish that everytime you touched me left a mark“ über Klangflächen krächzt, glaubt man ihr. So einfach ist das. Und während „Past Life Martyred Saints“ gerade textlich schonungslos vernichtend ist („20 kisses with a butterfly knife“), bildet die musikalische Unterlegung einen erhabenen, schwebenden Kontrapunkt zur Selbstkasteiung. So bleibt das eben zitierte „Butterfly Knife“ in seiner gesamten Kaputtheit die musikalische Ausnahme: EMA spielt auf „Past Life Martyred Saints“ mit der Kontrastierung von Schönheit und Schmerz.

Trotz des versöhnenden Abschlusses mit „Red Star“ will „Past Life Martyred Saints“ keine funktionale Hintergrundbeschallung zur nächsten Grillparty sein. Wer diese Spielregel akzeptiert, bekommt nicht nur ein sperrig-spannendes Album, sondern auch mal wieder den Beweis dafür geliefert, dass introspektive Musik weder verstimmte Wanderklampfen noch ungepflegte Gesichtsbehaarung braucht.

Yves Weber

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