Rezension

Damien Rice

My Favourite Faded Fantasy


Highlights: It Takes A Lot To Know A Man // Colour Me In // The Box // Trusty And True
Genre: Singer-Songwriter // Folk
Sounds Like: Glen Hansard // Bright Eyes // Elliott Smith

VÖ: 31.10.2014

Man kann Damien Rice sicherlich vieles vorwerfen, aber Sell-Out gehört definitiv nicht dazu. Auch wenn ihm so manch ein Banause gerne mal ankreidet, mit seiner Musik lediglich den Soundtrack zu den Daily- und Primetime-Soaps dieser Welt abzuliefern, sind verkaufsfördernde Maßnahmen, seien es nun Interviews oder Radio-Edits, Rice schon immer zuwider gewesen. Selbst als er noch völlig grün hinter den Ohren war, schien ihm der große Mainstream-Erfolg keinerlei Kompromisse wert zu sein. So ließ er seine frühere Band Juniper lieber kurz vor ihrem vermeintlich großen Durchbruch sitzen, um in der Toskana Schafe zu hüten, als sich vom Major-Label musikalisch verbiegen zu lassen.

Der Rest ist Geschichte: Millionen verkaufte Platten seines Indie-Debüts „O“ machten ihn zum widerwilligen neuen Vorzeigehelden des Singer/Songwriter-Genres. Plötzlich mit Erwartungen konfrontiert, zauderte Rice lange, bevor er 2006 auf Drängen seiner Band schließlich einen zwar würdigen, aber bei weitem nicht so begeistert aufgenommenen Nachfolger veröffentlichte. Inmitten der anschließenden Tour zu „9“ gab er dann auch noch seiner langjährigen Gefährtin Lisa Hannigan den Laufpass und zog dadurch den Groll der eigenen Fans auf sich. Wen wundert es da schon, dass Rice sich für Album Nummer 3 so viel Zeit ließ?

Fast acht Jahre lang schien er wie von der Bildfläche verschwunden, spielte nur noch vereinzelte Gigs auf Benefiz-Festivals, einsamen skandinavischen Inseln oder auch in Korea, bis er offenbar endlich eine neue Muse fand: Rick Rubin. In dessen legendären Shangri-La-Studios in Malibu nahm die blasse Vorstellung von einem neuen Album nämlich erstmals konkrete Formen an; den letzten Schliff verpasste Rice „My Favourite Faded Fantasy“ wiederum im idyllischen Island – mithilfe dutzender Freunde und Kollegen wie Shahzad Ismaily, Alex Somers, Helgi Jonsson und Markéta Irglová. Entsprechend klingen die neuen Songs auch kaum mehr nach dem damals noch in Eigenregie und im intimen Heimstudio aufgenommenen „O“. Was sich zunächst für viele wohl nach einer Enttäuschung anhören mag, birgt in Wirklichkeit jedoch so einige Schätze.

Dass Damien Rice nicht nur die leisen Töne aufs Feinste beherrscht, sondern auch gerne mal regelrechte Soundlawinen lostritt, sich mit seiner Band in ausladende Jams hineinsteigert und hemmungslos improvisiert, wussten bislang wohl nur diejenigen, die ihm schon mal live dabei zusehen durften. Genau dieses unsagbare Talent, sich auf der Bühne ganz dem Moment hinzugeben und den eigenen Songs Raum zur Entfaltung in ungeahnte Richtungen zu geben, macht sich auf „My Favourite Faded Fantasy“ immer wieder lautstark bemerkbar.

Schon der titelgebende Opener, in dem Rice seine gewohnt sehnsuchtsvollen Texte („You could be my poison, my cross, my razor blade / I could love you more than life if I wasn’t so afraid“) in gewöhnungsbedürftigem Falsett vorträgt, mündet in einem aufbrausenden Getöse aus schwirrenden Streichern, knurrender E-Gitarre, scheppernden Drums und gellenden „I have never loved“-Schreien. Der darauffolgende Neunminüter „It Takes A Lot To Know A Man” setzt da aber noch einen drauf: Was noch mit simplem Klaviermotiv, melodischen Streichern und einem unbeschwert wirkenden Ohrwurm-Refrain beginnt, nimmt auf einmal eine Wendung zum Düsteren. Während es im Hintergrund zunehmend scharrt und schnurrt, schwellen verzerrte und verhallte Stimmen zu einem nahezu unheimlich anmutenden Kanon heran, nur um kurz darauf einem melancholischen Instrumentalsolo zu weichen, das sich orchesterartig aufbäumt und schließlich wieder in sich zusammenfällt, wie man es vielmehr vom Schlusstrack eines Albums erwarten würde.

Wie er es auch auf der Bühne zu tun pflegt, lässt Rice seine Songs atmen und flößt ihnen immer wieder neues Leben ein. Selbst klassische Balladen, die von verträumter Akustikgitarre und seinem sanften, zerbrechlichen Gesang getragen werden („The Greatest Bastard“), blühen gegen Ende nochmal auf – oft in Form erhabener Streicher- und/oder Bläsereinlagen, die einen in „The Box“ sogar die Verwandtschaft zu Rice‘ Großcousin und James-Bond-Filmkomponist David Arnold heraushören lassen.

Dem ein oder anderen mag es sicherlich etwas arg theatralisch vorkommen, wenn Rice einem beispielsweise im zweifellos überschwänglichen Finale von „Colour Me In“ unablässig und voller Inbrunst „Come Let Me Love You“ entgegen schmettert. Aber spätestens im bezaubernden und so gar nicht kommerziell anmutenden Album-Closer „Long Long Way“ – wenn nicht schon in „Trusty and True“, in dem einen ein mehrstimmiger Chor mit zahlreichen Abwandlungen der Zeile „Come, come alone, come with fear, come with love, come however you are” förmlich dazu einlädt, sich zu ändern, sich zu bessern und sich auch selbst zu verzeihen – sollten selbst diejenigen, die Rice gerne lediglich als Troubadour mit fernsehtauglichen Herzschmerzballaden belächeln, spüren, dass hinter seiner Musik keinerlei Kalkül steckt. Der Kerl trägt sein Herz einfach bloß auf der Zunge – also genau dort, wo es auch hingehört.

Paulina Banaszek

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Videoclip zu "The Greatest Bastard"

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Stream zu "I Don't Want To Change You"

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